Eine Wellensittich-Wellinachtsgeschichte
Es war der Morgen des 24. Dezember und Julia war sehr aufgeregt, als sie aus dem Bett schlüpfte. Noch im Schlafanzug tappte sie vorsichtig ins Wohnzimmer, um nach den Wellis zu gucken. Die Mühe hätte sie sich sparen können, denn natürlich waren Flit und Flat schon seit Sonnenaufgang wach und hatten den heiligen Abend angezetert."Wisst ihr, was heute ist?", flüsterte Julia den beiden Vögeln zu, die nun ihr Geflatter eingestellt hatten und sie neugierig beäugten. Natürlich wussten sie es nicht. War ja auch ihr erstes Weihnachtsfest.
Dumme Federlose! Nicht schwätzen, füttern!
Weil Julia wusste, was sich für eine Wellifreundin gehört, öffnete sie pflichtbewusst die Futterdose und füllte den Futternapf nach. Sofort hob sich Flits Laune und die wohlgenährte Vogeldame eroberte den Futternapf. Flat war mal wieder zu langsam gewesen. "Nicht traurig sein, Flat. Gleich ist auch noch was da!", tröstete ihn Julia und flitzte zurück in ihr Zimmer. Mama war gerade aufgestanden und sie wollte keine Strafpredigt hören, weil sie keine Hausschuhe angezogen hatte.
Julia schaffte es, rechtzeitig ins Bett zu schlüpfen, bevor Mama in ihr Zimmer kam und die Vorhänge aufzog. "Raus aus den Federn, Schatz, ich hab viel zu tun, mach dich bitte fertig, du musst noch mal für mich zum Supermarkt rüber!" "Raus aus den Federn, sag das mal Flit und Flat!", kicherte Julia, aber ihre Mutter war schon wieder hinaus gerauscht. Sie war an Weihnachten immer ein bisschen anstrengend .
Mit einem Seufzen lief Julia ins Badezimmer und begann, sich die Zähne zu putzen. Als sie eine Viertelstunde später in die Küche kam, scheuchte ihre Mutter gerade ihren Vater vom Esstisch und sammelte hektisch den Käse zusammen. Papa rollte die Augen und grinste, als er an Julia vorbei ging. Er war den Weihnachtsstress gewohnt. "Da bist du ja endlich beeil dich ich brauch noch Rotkohl gehst du bitte noch ein Glas holen ich hab viel zu tun" wies Mama sie in einem einzigen Atemzug an. Dann nahm sie sich die Spülmaschine vor. Bis am Nachmittag Oma und Opa kamen, musste sie noch mindestens einen Spülgang überstehen. Julia beschloss, sich schnellstmöglich aus dem Staub zu machen und zog sich den Anorak über, bevor sie in den Supermarkt ging.
Wieso dürfen wir nicht raus! Die Federlose macht sich vom Acker und ich sitz hier immer noch drin! Behandelt man so eine Dame? Das war eine rhetorische Frage!
Im Supermarkt war es so brechend voll, dass Julia fürchtete, von einer nach Lebkuchen grapschenden Oma in den Flaschenautomaten gequetscht und dort zu einem Dasein als menschliche PET-Flasche verdammt zu werden. Endlich hatte sie den Rotkohl ergattert, bezahlt und unverletzt aus dem Geschäft geschleust. Es war erst halb zwölf und ihre Mutter sicherlich gerade dem Nervenzusammenbruch beim Weihnachtsbaum schmücken nahe, daher gönnte sie sich noch einen Bummel über den Weihnachtsmarkt.
Es war der letzte Tag, und einige Buden wurden schon zusammengebaut. Ziemlich am Rand entdeckte sie einen Stand, der Holzspielzeug verkaufte; alle selbst hergestellt, natürlich ungiftige Farben und beste Verarbeitung, wie ihr der Verkäufer, ein netter älterer Herr, versicherte. "Für Sie, junge Dame, heute zum Ausverkaufsrabatt", grinste er ihr zu, als sie sich entschieden hatte. "Danke!", antwortete Julia, während sie die bunten Holzklötze in den Rucksack steckte, "das wird ein Weihnachtsgeschenk!" "Für dein kleines Geschwisterchen?" "Nein, für meine Wellensittiche!" Der Verkäufer lachte und rief ihr noch ein "Na dann richte ihnen ein frohes Fest aus!" hinterher. Es war inzwischen spät geworden und Julia musste sich beeilen, um es rechtzeitig nach Hause zu schaffen. Schon vom Vorgarten aus hörte sie den Staubsauger jaulen. Wie konnte man nur an Heiligabend staubsaugen! Ihre Mutter war wirklich manchmal anstrengend.
"Staubsauger, Saugheuler, pah! Niemand schreit lauter als eine aufgebrachte Wellilady! Wo ist dieser faule Kerl jetzt schon wieder hin! Ich hab HUNGER! Nie sind die Männer da, wenn man sie braucht!"
Nachdem Julia den Rotkohl in der Küche abgeliefert hatte, schlich sie sich in ihr Zimmer. Nachher musste sie sonst noch die Bücherregale abstauben oder was sich eine fleißige Hausfrau sonst so am Heiligabend einfallen ließ! Sie holte die Holzklötze aus ihrem Rucksack und fädelte sie auf ein Stück dünnes Baumwollseil. Stolz hängte sie die Spielkette an den neuen Vogelspielplatz, den sie zusammen mit Papa gebaut hatte. Da würden die Piepser aber Augen machen! Flit hatte den alten Vogelbaum so lange zernagt, bis sie ihn hatte entsorgen müssen. Zufrieden begutachtete sie ihr Werk. Ja, so konnte sie ihre Wellis bescheren.
Ihre Mutter hatte inzwischen fertig gesaugt. Mit einem lauten "Ratsch" rollte sich das Kabel ein und sie sperrte den Staubsauger zurück in die Abstellkammer. Flit hockte dick aufgeplustert auf ihrer Schaukel und hatte ihr Gezeter zu einem leisen Gezwitscher runtergeschraubt. Zufrieden zog sie ein Füßchen ins Gefieder und machte es sich gemütlich. Hab auch wirklich genug geschuftet heute! Und Flat? Dem war gerade gar nicht nach Faulenzen zu Mute...
Julia hockte vor dem Fenster im ersten Stock und wartete sehnsüchtig auf Oma und Opa. Dann würden sie, wie jedes Jahr, noch einen Spaziergang machen, bevor es endlich die Bescherung gab. Endlich bog das Auto in die Einfahrt ein und Julia rannte die Treppe runter, um die Tür aufzumachen. Hallo Mäuschen!, rief Oma und umarmte ihre Enkelin. "Na, schon heimlich in die Geschenke gelinst?", zwinkerte ihr Opa zu, als er sich hinter seiner Frau in den Flur drängelte. "Ich doch nicht!"
Julias Mutter umarmte ihre Eltern und nahm ihnen die Mäntel ab. "Stellt erst mal die Sachen ab und setzt auch noch einen Moment ins Wohnzimmer!", sagte sie. "Na, wo sind denn deine Geier?", fragte Oma und trat vor den Vogelkäfig. "Wo ist denn der Grüne?", fragte sie nach einem Moment. Julia kam ihr hinterher. "Flat?", fragte sie und guckte verwundert in den Käfig. Ihr blieb fast das Herz stehen, als sie die offene Käfigtür entdeckte. Und was noch schlimmer war, ihre Oma hatte Recht: Von dem Wellensittich war weit und breit nichts zu sehen! "Flat!" rief Julia erschrocken. "Mama!" Entsetzt kam ihre Mutter herbei gehastet, während Oma und Opa bestürzt daneben standen. "Was ist los?!", fragte sie besorgt. "Hast du die Tür aufgelassen? Flat ist weg!" antwortete Julia, ihre Stimme klang panisch. Ihre Mutter sah sie erschrocken an. "Nicht dass ich wüsste..." murmelte sie. Rasch schloss sie das Törchen, obwohl Flit keine Anstalten machte, ihren Platz zu verlassen und sie nur schläfrig anblinzelte. "Vielleicht haben sie sie selbst aufgekriegt... oder du hast es vergessen..." Julia hörte nicht zu. Sie lief durchs Zimmer und suchte alle Standardsitzplätze ihrer Vögel ab. "Flat!", lockte sie leise. Aber von dem Sittich war nichts zu sehen. "Wo ist er bloß?" "Irgendwo muss er ja stecken!" mischte sich Oma ein und trat ans Bücherregal. Sie linste hinter die Bücherreihen und spähte hinter die Vorhänge. "Jedenfalls war die Zimmertür die ganze Zeit zu...", sagte ihre Mutter mehr zu sich selbst. Doch von Flat gab es trotz vereinter Suche keine Spur...
"Er ist weg!", schniefte Julia leise. Nach einer halben Stunde gab es immer noch keine Spur von Flat. Sie hatten unter alle Schränke und sogar im Papierkorb nachgesehen, der Wellensittich war wie vom Erdboden verschluckt. Ihre Oma strich ihr mitleidig über den Kopf, und ihre Eltern warfen sich einen ratlosen Blick zu. Plötzlich hielt sich ihre Mutter die Hand vor den Mund. "Oh je, hoffentlich ist er nicht beim Lüften weggeflogen!", fiel ihr siedend heiß ein. Julia sah sie bestürzt an. "Ich hatte beim Saugen das Fenster offen, vielleicht hat er sich ja erschrocken und ist..." Als ihre Mutter ihre Miene sah, fügte sie schnell hinzu: "Aber das muss ja nicht sein, vielleicht hat er sich ja doch irgendwo versteckt..." "Dann suchen wir draußen!", meinte ihr Vater entschlossen. "Vielleicht ist er ja noch in der Nähe!" "Aber es ist eiskalt draußen!", Julia kamen schon wieder die Tränen. "Dann fliegt er vielleicht nicht so weit...", versuchte ihre Oma, sie zu trösten. "Wir nehmen Flit im Käfig mit, wenn wir eine Decke drüber legen, ist es auch nicht so kalt. Vielleicht ruft sie nach ihm und lockt ihn an!", schlug ihre Mutter vor und griff nach dem Vogelkäfig. Er war ziemlich schwer.
Julia war schon in den Flur gerannt und zog sich die Jacke an. Was, wenn sie Flat nicht vor dem Abend fanden? Was, wenn er weiter geflogen war? Seit dem Vormittag konnte er schon wer weiß wo gelandet sein… Sie schluchzte. Wieso hatten sie nur nicht besser aufgepasst! Zu fünft stiefelten sie durch die Nachbarschaft. Flit protestierte unter der Decke, die sie zum Schutz vor der Kälte über den Käfig gebreitet hatten, sie mochte es nicht, herum getragen zu werden.
Julia hatte eine Packung Kolbenhirse mitgenommen und suchte in jedem Vorgarten nach etwas Grünem zwischen den Ästen. Es begann schon, zu dämmern, und auf den Straßen waren nur wenige Passanten unterwegs. Einen entflogenen Wellensittich hatte keiner gesehen.
Nach einer Stunde kehrte die Welli-Suchmannschaft durchgefroren und ziemlich deprimiert nach Hause zurück. Von Flat war nicht die kleinste Federspitze zu sehen gewesen. Julias Augen waren schon ganz rot von den vielen Tränen. "Ich rufe im Tierheim an, dass sie sich sofort bei uns melden sollen, wenn ein Wellensittich abgegeben worden ist!", versuchte ihre Mutter, sie zu trösten. "Und morgen drucken wir Zettel aus und hängen sie in der Nachbarschaft auf. Wir können auch in den Foren schreiben, ob jemand Flat eingefangen hat!", schlug ihr Vater vor. Julia schniefte und stellte Flit mit dem Käfig wieder auf ihren Platz. "Das ist das schlimmste Weihnachten, was ich je hatte", sagte sie leise zu der Wellensittichdame. Die hatte sich so dick aufgeplustert, wie sie konnte, und warf ihr böse Blicke zu.
"Komm, zieh dich um, Schatz. Flat kommt bestimmt zurück!", meinte Mama schließlich. Julia marschierte wortlos in ihr Zimmer. Die Vorfreude auf die Bescherung war ihr gründlich vergangen. Arme Flit... sicher vermisste sie ihren Partner auch!
Es war keine besonders ausgelassene Weihnachtstimmung. Julia stand ziemlich geknickt zwischen ihren Eltern und sang halbherzig "Oh Tannenbaum". Irritiert hielt sie inne, als sich ein kratzendes Geräusch in den Gesang mischte. "Häh? Habt ihr das auch gehört?", fragte sie. Ihre Mutter hörte auf, zu singen. Im Wohnzimmer herrschte atemlose Stille. Tatsächlich, da war ein leises Geräusch. "Das ist ein Wellensittich, der etwas zerschreddert!", stellte Julia aufgeregt fest. Kein Zweifel. Oder eine Holzwurminvasion gigantischen Ausmaßes. Flat saß unschuldig auf ihrer Schaukel und tat sich an ihrer Weihnachtshirse gütlich. Wie auf Kommando verteilte sich die Familie im Raum und versuchte, die Geräuschquelle zu orten. "Hier drüben!", rief Julias Mutter. Ihre Tochter stürzte an ihre Seite. Hinter dem Weihnachtsbaum stand ein ziemlich großes Paket. Und an dessen Rückseite... hing das Geschenkpapier in Fetzen... und neben dem beachtlichen Loch, das ein fleißiger Wellischnabel ins Papier gefressen hatte, hing - "Flat!", kreischte Julia vor Freude! Der Vogel hielt erschrocken inne und legte das Gefieder flach an. "Flat!", rief Julia noch einmal, Tränen der Erleichterung in den Augen.
Auch ihre Mutter lachte erleichtert. "Da hat wohl jemand sein Geschenk schon früher ausgepackt!" Julia streckte vorsichtig die Hand aus. Flat beäugte sie misstrauisch, aber als sie den Zeigefinger vorsichtig gegen seinen Bauch stupste, stieg er auf ihre Hand. Behutsam und ängstlich, dass er wieder auffliegen könnte, trug sie ihn aus der Ecke und setzte ihn zurück in den Käfig, wo er von Flit begrüßt wurde.
"Der war die ganze Zeit hier drin!", stellte Papa überflüssigerweise fest. Julia stand vor dem Käfig und warf Flat einen vorwurfsvollen Blick zu. "Das machst du nicht noch mal, hörst du!!!", schimpfte sie. "Du hast uns so einen Schrecken eingejagt!"
"Schimpf doch nicht mit dem armen Tier, es ist ja noch mal gut gegangen!", lachte Oma und wuschelte ihrer Enkelin durch die Haare. "Ja..." murmelte Julia glücklich. "Na, also wo Flat ja das Paket schon ausgepackt hat... können wir ja auch eigentlich mit der Bescherung anfangen!", schlug Mama vor. Julia warf Flit und Flat noch einen liebevollen Blick zu, dann drängelte sie sich neugierig neben den Weihnachtsbaum. Hinter der Öffnung, die Flat geschlagen hatte, lugten Gitterstäbe hervor. Neugierig riss Julia das Papier ab. Zum Vorschein kam - eine Vogelvoliere! "Die ist aber eigentlich ein Geschenk für Flit und Flat...", meinte ihre Mutter mit einem Grinsen. "Oder besser gesagt, für Flit und Flat und ihre zwei neuen Mitbewohner!" "Wir kriegen noch mehr Wellis?!", fragte Julia begeistert.
"Ja, ich dachte mir, zwei Wellis sind gut, aber vier sind besser..." "Wie sehen sie aus? Wie heißen sie?", fragte Julia aufgeregt. "Ein weißer und noch ein blauer, ich habe sie in der Vermittlungsrubrik von deinem Welliforum entdeckt, und war sofort hin und weg. Aber es musste natürlich eine Überraschung bleiben, deshalb können wir sie erst nach Weihnachten abholen", erklärte Mama. "Zeig gleich mal Fotos von ihnen!", verlangte Julia. Dann sprintete sie zum Wellikäfig zurück. "Habt ihr gehört? Ihr kriegt zwei neue Freunde! Gut, dass ich euch einen neuen Vogelbaum gebastelt hab, da braucht ihr ja jetzt doppelt so viel Platz!"
"Zwei neue Freunde? Ich hoffe, es sind zwei Hähne!", dachte Flit. "Zwei neue Freunde? Ich hoffe, es sind zwei Hennen!", dachte Flat. "Es ist ein Pärchen. Sie heißen Hansi und Bubi, aber... vielleicht fällt uns was Passenderes zu unseren zweien ein?" Julia überlegte. "Flit, Flat... Flitter und Flatter!", meinte sie. Flit trillerte zustimmend. Wenn sich das mal nicht doch noch zu einem viel versprechenden Weihnachtsabend entwickelt hatte!

Ich wünsche allen gefiederten und federlosen Wesen ein frohes und erholsames Weihnachtsfest!
Der Artikel wurde am 01.12.2009 von Blueberry veröffentlicht in der Kateogie: Advent.
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