Jenseits des Regenbogens
Jenseits des RegenbogensWieso sollte uns etwas erwarten, am anderen Ende des Regenbogens? Ist es nicht nur eine schöne Geschichte, die wir erfinden, um uns zu trösten?
Wahrscheinlich. Aber was spielt das für eine Rolle? Ist es nicht schöner, von einem Wiedersehen zu träumen? Wenn unsere letzten Gedanken bei all dem weilen, was uns wichtig war, wenn wir uns vorstellen, was wir uns wünschen bevor wir gehen, vielleicht können wir dann ein Stück davon mit uns nehmen in die Dunkelheit…
*
So vieles, worauf ich mich gefreut habe. So viele, die ich wieder sehen musste. Einen Ort habe ich mir lange aufgespart, ein wenig neugierig, ein wenig unsicher, ob ich ihn finden würde.
Nun stehe ich hier, am Rande der roten Wüste, über mir der Himmel so blau und endlos, dass es mich schwindelt. Ich höre sie, lange bevor ich sie sehe.
Ein mächtiger Eukalyptus erhebt sich über meinem Kopf, so hoch und ausladend, dass ich die Krone nur erahnen kann. Überall sitzen sie, auf jedem Ast, jedem Zweig, Millionen und Abermillionen, grün und blau, grau und weiß, in allen Farben, in allen Formen, zwitschernd, schlafend, schnäbelnd, streitend, jeder einzigartig und alle ein Einziges.
Zögernd bleibe ich stehen, nur ein Gast in ihrer Welt. Dann bemerkt man mich.
Winzige Köpfe wenden sich mir zu. Schwarze Augen mustern mich neugierig. Der Gesang verstummt. Ein paar Flügel rascheln, dann ist es still.
Wenn mein Herz noch schlüge, würde man es nun hören bis ins höchste Geäst. Atemlos blicke ich hinauf, meine Augen suchen vergeblich. Doch ihre tun es nicht.
Langsam lösen sich ein paar kleine Gestalten aus dem Schwarm. Sind sie es wirklich? Wo sind die struppigen Federn, die matten Augen? Keine Spur blieb von der Welt, die sie verließen. Sacht landen sie auf den untersten Ästen. Gespannte Blicke folgen uns aus der Krone.
Vorsichtig strecke ich die Hand aus. Ein paar Flügelschläge, und winzige Krallen umfassen meine Finger als sei nie ein Tag vergangen. Tränen füllen meine Augen. Nun bin ich es, der neu ist in einer fremden und verwirrenden Welt.
Ein sanftes Zwitschern reißt mich aus den Gedanken. Fröhliche kleine Augen blicken mich an, sagen lautlos, was ich einst zu ihnen sagte, keine Angst, ist ja alles gut…
Ein sachter Triller. Aufgeregt trippeln die winzigen Füße hin und her. Sie sind ungeduldig. Sie warten auf mich.
Ich hole tief Luft, dann springe ich hinauf in die Luft. Ich muss nicht nachdenken, meine Gestalt ist nun ebenso frei wie meine Gedanken. Nur einen kurzen Moment brauche ich, um das Gleichgewicht zu finden. Meine Flügel tragen mich so selbstverständlich als hätten sie es immer schon getan. Meine Federn steuern ganz von allein. Der kleine, wendige Körper ist so vertraut wie mein eigener.
Sie alle haben auf diesen Moment gewartet. Die Luft um mich herum ist erfüllt von tausenden Leibern, die sich erheben wie ein einziger. Überall schwirren ihre Flügel um mich herum und vermischen sich mit meinem eigenen Flügelschlag.
Eine Schwinge streift spielerisch meine Schwungfedern. Ich wende den Kopf und sehe ein vertrautes Gesicht, das doch so anders aussieht, die Federn leuchten auf wie ich es noch nie bemerkt habe. Ein fröhliches Keckern fordert mich heraus, dann verschwindet der Gefährte im Gewimmel über mir. Ihr Übermut ist ansteckend.
Vergessen ist all die Zeit, die verging, seit sie mich verließen. Ich bin ihnen näher als je zuvor.

Meine Antwort geht unter in unseren zahlreichen Rufen. Übermütig hole ich Schwung, meine Federn drücken die Luft unter mich und katapultieren mich weiter hinauf, wo ich mehr Raum habe. Jeder Flügelschlag trägt mich höher und höher, näher an den Himmel, der in einer Farbe leuchtet, für die ich noch keinen Namen habe. Bald kann uns niemand mehr auseinander halten. Wir sind nur noch ein Schwarm. Mein Schwarm. Unser Schwarm.
Der Artikel wurde am 11.06.2009 von Blueberry veröffentlicht in der Kateogie: Geschichten.
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