Warum heiß ich eigentlich Karlson ?
Hallo ihr lieben Federlosen,ich bin es Karlson. Ein kleiner etwas zu dick geratener Welli, aber dafür kann ich nichts. Das müsst ihr mir einfach glauben. Doch nun noch einmal von vorne.
Ich heiße Karlson und bin 3 Jahre alt. Früher lebte ich zusammen mit ein paar anderen gefiederten Kumpels in einer großen Voliere. Bis eines Tages ein Federloser kam und mich zusammen mit Peppi in einen dunklen Karton steckte. Wir beide wussten gar nicht recht wie uns geschieht. Jedenfalls sind wir uns in diesem engen, kleinen Karton ständig gegenseitig auf die Schwanzfedern getappst und das war nicht so gemütlich. Nach einigem Geruckel und einer gefühlten Ewigkeit,
wurden wir in eine Art Gefängnis gesperrt.
Ein kleiner Käfig war es. Gerade mal so breit, dass Peppi und ich von einer Sitzstange zur anderen hüpfen konnten. Mehr war leider nicht drin. Fliegen war darin wohl unmöglich, aber sicher würde dies nicht lange unser neues Zuhause sein. Sicher würden wir schon bald in einen großen Käfig umziehen oder sogar im Zimmer umher fliegen. So wie in der Voliere, in der Peppi und ich früher lebten. Da gab es nämlich einen ganzen Schwarm voller Wellis. Peppi und ich gehörten zu den jüngsten des Schwarms. Neben unseren Geschwistern und Papas und Mamas, gab es auch noch Onkels, Tanten und andere Pieper. Unter anderem einen ganz alten und sehr schlauen Wellensittich.
Großvater nannten ihn alle. Ein grau-schwarzer Standard Wellensittich Hahn. Mit stolz geschwellter Brust saß er da und beobachtete immer alles ganz genau. Er wusste in welcher Nisthöhle gerade wie viele Eier lagen. Wer von uns wann geschlüpft war, wer wo her kam und wo er hinging. Großvater wusste scheinbar einfach alles. Auch das, was wir vor ihm zu verheimlichen wollten. Es schien manchmal, als habe der alte, schlaue Herr, seine Augen überall.
Das besondere an Großvater war aber eins ... den ganzen Tag über zwitscherte er nicht viel. Als wir noch klein waren, und unser Jugendgefieder noch hatten dachten wir immer er sei grimmig ... bis wir merkten, dass er am Abend, kurz bevor die Sonne unterging begann wunderschön zu singen und zu zwitschern. Seine Lieder handelten von alten Geschichten und er gab nicht nur jedem von uns im Schwarm geborenen Wellis seinen Namen, sondern komponierte auch für jeden sein eigenes Lebenslied. Das sei nötig um es dann zu singen, wenn man einmal den Schwarm verlassen müsse, hat er immer gesagt. So gab Großvater also Peppi den Namen, weil dieser ein kleiner peppiger Racker war und mir den meinigen Namen, weil ich ein guter, wenn auch gemütlicher Flieger war. Vielleicht kennt ihr ja die Geschichte von Karlson vom Dach.
Nun saßen wir also da, im kleinen Käfig und dachten an unseren Schwarm, ans Fliegen und an Großvater und seine Geschichten. Wir waren ganz sicher, dass wir schon bald aus dem Käfig heraus durften. Durch die Geschehnisse des Einfangens, des Transportes und des neuen Heims so müde und erschöpft, schliefen wir erst einmal ein.
Schon wenige Minuten später, es war noch am selben Tag an dem wir eingezogen waren, kam ein kleiner Federloser auf uns zu und streckte die Hand in den kleinen Käfig. Wir hatten gerade ja geschlafen und die kleine Hand grapschte nach mir. Ich hatte mich sehr erschrocken und hab einfach vor Angst ganz heftig zugebissen. Ich wollte dem kleinen Federlosen nicht weh tun, aber ihm zeigen, dass er mir erst einmal ein klein wenig Zeit geben muss um mich an alles gewöhnen zu können. Leider kam alles ganz anders. Alles ging so rasend schnell.
Ich biss also herzhaft in einen der kleinen Finger und vor Schreck hab ich wohl ganz schön fest zugezwickt. Der Zwergen Federlose hat damit scheinbar überhaupt nicht gerechnet und ist ebenfalls so sehr erschrocken, dass er seine Hand zurück zog und dabei den kleinen Käfig umkippte. Er fiel krachend und scheppernd zu Boden.
Die Bodenschale des Käfigs löste sich und ich konnte fliehen. Wie wild flog ich im Zimmer umher. Ich wusste doch überhaupt gar nicht wo ich hin flattern sollte. Noch kannte ich hier die Umgebung überhaupt nicht und so war ich völlig außer Puste, als ich endlich auf der Gardinenstange Halt fand. Ganz verstört und noch ganz aufgeregt suchte ich den Raum nach meinem Freund Peppi ab. Ich konnte ihn nicht sehen. Ich rief ihn ganz laut und meine Stimme zwitscherte so laut ich nur konnte. Nichts... keine Antwort.
Statt dessen sah ich den kleinen Federlosen heulend weg laufen. Zwei große Federlose kamen ins Zimmer gerannt. Der kleine Federlose zeigte mit dem Finger auf mich. Die andere Federlose, es war eine Frau, lief schnell zum abgestürzten Käfig. Oh nein !!! Sie beugte sich darüber um den Käfig aufzuheben während mein Blick sie verfolgte. Dort lag er ... Peppi. Wieder rief ich ganz laut. Peppi, hörst du mich denn nicht?
Ganz verzweifelt verstummte mein Rufen und Zwitschern, als die Hand des anderen großen Federlosen nach mir greifen wollte. Ich flatterte wieder los. Noch im Augenblick des Startes sah ich, Peppi lag dort. Seine Augen waren geschlossen, sein Körper eingeklemmt unter einem Teil des Käfigs.
Wie konnte das sein? Da, da ist eine Lücke. Ich flog auf ein Fenster zu und dachte es sei offen. Zu spät hab ich erkannt, dass ein unsichtbares etwas (die Federlosen nennen es glaube ich Fensterscheibe) im Weg war. Einen Schlag tat es, das ist alles woran ich mich noch erinnern kann. Dann wurde es dunkel um mich herum ...
Irgendwann später, wann genau weiß ich nicht mehr, fand ich mich im Käfig auf dem Boden sitzend wieder. Ganz komisch fühlte sich mein Kopf an. Mir tat alles weh. Mein Herzchen pochte wie wild in meiner Brust und ich spürte so etwas wie ein Drehen in meinem kleinen Körper. Schwindelig nennt man das.
Langsam begann ich mein Köpfchen zu bewegen. Ganz vorsichtig, denn es schmerzte sehr. Vorsichtig suchte ich den Käfig nach meinem Freund Peppi ab. Er war nicht da. Aber wo konnte er nur sein? Wo haben die Federlosen ihn nur hingebracht?
Mit aller Kraft begann ich zu rufen ... doch keine Antwort. So begann ich Peppis Lebenslied zu zwitschern. Großvater hatte es uns stundenlang üben lassen, so kannten wir unsere Lebenslieder gut. Doch auch darauf bekam ich keine Antwort. Keine Antwort von Großvater, keine Antwort von Peppi, keine Antwort von niemandem! Statt dessen durchfuhr ein starker Schmerz mein Federköpfchen und ich entschloss lieber still zu sein.
Stundenlang saß ich nun auf dem Boden. Meine Beinchen wollten mich einfach nicht auf der Sitzstange halten. So schlief ich irgendwann ein und träumte in dieser Nacht von meinem Freund Peppi. Der Anfang des Traumes handelte davon, wie viel Spaß wir beide miteinander hatten, als wir noch in unserem alten Schwarm waren. Wie wir in der großen Voliere fliegen konnten und spielen durften. Wie wir immer die anderen geärgert hatten, sie mit unseren Schnäbelchen an den Schwanzfedern zogen und viele andere Dummheiten machten. So waren Peppi und ich eben.
Dicke Federfreunde, die zusammen jeden Unsinn mit machten, sobald sich dazu eine Gelegenheit ergab. Wie wir von Großvater ausgezwitschert wurden, weil wir erwischt wurden.
Dann, ganz plötzlich schlug der Traum um. Er wurde ganz duster und zeigte nur dicke Gitterstäbe die immer näher an uns heran rückten. Ganz so, als würden sie auf uns zukommen. Im Traum konnte ich entwischen. Peppi jedoch schaffte es nicht und wurde von den Gitterstäben erdrückt.
Ein schrecklicher Anblick.
Dann sah ich vor meinem inneren Auge das Bild, dass ich vom vergangenen Tag kannte. Peppi, wie er mit geschlossenen Augen unter dem heruntergestürzten Käfig lag. Ganz aufgeregt riss ich meine Äuglein auf, doch das Bild von Peppi und den schrecklichen Vorkommnissen des Tages hatte sich so fest in meinem Gedächtnis eingebrannt, dass ich trotz offener Augen den Anblick nicht mehr los wurde. Obwohl meine Augen so müde waren, ich wollte sie nicht mehr schließen. Zu schlimm war der Traum, zu schlimm all das was passiert war.
Obwohl ich wach war, obwohl ich wusste, dass ich geträumt hatte ... so machte sich eine traurige Gewissheit und eine tiefe Schwermütigkeit in mir breit, denn ich wusste, dass ich meinen Freund Peppi nicht mehr wieder sehen würde. Nicht hier, sondern erst dann, wenn auch ich eines Tages ins Regenbogenland fliegen würde.
Die ganze Nacht saß ich mit offenen Augen auf dem Boden des Käfigs. Immer wieder dachte ich dabei an Peppi. Als am Morgen die Sonne aufging, kam der kleine Federlose mit seinem Papa, dem großen Federlosen zu mir. Ganz verschüchtert drückte ich mich in die hinterste Ecke des kleinen Käfigs. Alles in mir schrie nach Flucht. Der kleine Federlose beschimpfte mich. Er war wohl sehr wütend darüber, dass ich ihm gestern weh getan hatte. Im gleichen Moment schnappten die Hände des großen Federlosen den Käfig und man trug mich mitsamt dem hässlichen, engen Gittergefängnis in einen kleinen dunklen Raum.
Seit diesem Tag sitze ich dort in meinem Käfig. Es ist dunkel, relativ dunkel hier, denn es gibt nur ein kleines Fensterchen am anderen Ende des Raumes. Eine kleine Lampe brennt für mich und einmal am Tag verirrt sich jemand zufällig zu mir, um in dem Zimmerchen hier etwas zu holen. Beachtung schenkt mir dabei niemand. Einzig die Federlosen Mama kommt manchmal zu mir und füllt den Futter und Wasserspender auf. Alle paar Tage passiert das. Sie macht mit einem Schwung den Käfig etwas sauber und sagt dabei zu mir : „Na Karlson?“ Das ist alles was ich zu hören bekomme. Meinen Namen ...
Aber warum heiße ich denn eigentlich Karlson? Stammt dieser Name nicht von einem berühmten Namensvetter, der auf dem Dach lebt und nach Herzenslust fliegen kann ? Er ist zwar kein Vogel, wie ich, doch ein Federloser mit einem Propeller auf dem Rücken. Wenn ich doch Karlson heiße, warum darf ich dann nicht auch aus meinem Gefängnis? Warum darf ich nicht mehr fliegen? Bin ich etwa kein echter Karlson? Bin ich kein Vögelchen das verdient hat zu fliegen? Ist es vielleicht sogar eine Strafe für den Biss, durch den ich meinen Kumpel Peppi auf dem Gewissen habe? Ich weiß es nicht!
Mein Lebenslied habe ich hier in der Einzelhaft schon lange vergessen. Niemand hat es mir seither wieder vorgezwitschert. Denn dazu sind Freunde doch eigentlich da ... einem das Lebenslied dann vorzusingen, wenn es das eigene Herz vergessen hat. Zwar habe ich Peppis Lebenslied ganz fest in meinem Herzen bewahrt, doch kann ich es nicht mehr zwitschern. Der Schmerz ist zu groß.
Doch all ihr lieben Federlosen, auch wenn ich den Grund meines Schicksals vielleicht nie wirklich erfahren werde ... tut meinen gefiederten Freunden einen Gefallen ... lasst sie ein Karlson sein. Ein echter Karlson der fliegen darf! Lasst sie einen Freund haben, der sie stetig an ihr Lebenslied erinnert und lasst sie fliegen. Macht sie nicht zu einem kleinen, unbeweglichen und dicken Karlson, der Tag ein, Tag aus auf der gleichen Stange sitzt und verstummt ist. Lasst sie echte Karlsons sein.
Alles Liebe, euer Karlson, der gar kein Karlson sein darf.
Der Artikel wurde am 26.04.2013 von Ive84 veröffentlicht in der Kateogie: Geschichten.
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Bärbel aus Großensee (26.04.2013 - 08:23)
OOoohhh, Ive, mir kullern die Tränen. So schön, aber soooo traurig geschrieben. Den Text bekomme ich so schnell nicht aus meinen Kopf.