Ein Vogelbaum nach Welligeschmack
Viele Jahre blickte ich wehmütig und etwas neidisch auf die Vogelbäume im Internet, die Vogelhalter ihren Tieren boten. Diese wurden offensichtlich regelmäßig und gerne von den gefiederten Bewohnern des Hauses aufgesucht. Die Fotos zeigten es jedenfalls. Nur auf meine Vogelbäume hatte nie einer meiner Wellensittiche gesessen. Dabei gaben hier schon dicke, dünne, große und kleine Vogelbäume ein vorübergehendes Gastspiel. Doch alle teilten sie das gleiche Schicksal. Sie verstaubten ungenutzt in meinem kleinen Wohnzimmer.Die traurigen Holzgestelle wurden keines Blickes gewürdigt. Nur meine Beachtung fanden sie gelegentlich, wenn ich um sie herumklettern musste oder mir einen Zweig im Vorbeigehen in die Rippen rammte. Das ging jedes Mal solange, bis ich sie wieder entsorgte. Meine Wellensittiche hatten mir schließlich lange genug durch ihre Ignoranz deutlich gemacht, dass sie genau den Baum nicht wollten.
Dabei war doch so ein Vogelbaum die Krönung einer gelungenen Wellensittichhaltung. Es konnte gar nicht anders sein: Ein Vogelbaum musste unbedingt her. Zum wiederholten Male zog ich also los, um im Wald geeignetes Material zu suchen. Stunden hatte es gebraucht, denn jeder Ast und jeder Zweig musste genau begutachtet werden. Schließlich erblickte ein neuer Vogelbaum das Licht der Welt. Mindestens 1,80 m ragte er in die Höhe mit Zweigen voller Blattgrün. Im Zimmer roch es nach Wald und Wiesen. Herrlich. Schöner konnte ein Vogelbaum nicht sein.
Nach Tagen freudiger Erwartung und den darauffolgenden Wochen leiser Hoffnung stand es fest, dass hier wohl nichts mehr geschehen würde. Die Blätter an den Zweigen hingen traurig und verwelkt herab, dass man schon Mitleid hätte haben können. Meine Wellis, die normalerweise Buchenzweige lieben, beachteten sie diesmal nicht. Vielleicht sollte ich ihnen einmal sagen, dass Wellensittiche Vögel sind und normalerweise auf Bäumen sitzen, dachte ich bei mir.
Mit dem toten Laub sah der Vogelbaum mittlerweile sehr gespenstig aus. Vermutlich war er meinen Wellis zu groß und zu überladen. Also entrümpelte ich mein Bauwerk. Mehr und mehr entfernte ich die Zweige bis nur noch der Stamm des einstig prächtigen Baumes übrig war. Auf einem Hocker stehend erreichte er nur noch die Höhe von 1,50 m. Vom Baumstamm aus ragten drei Äste, von denen zwei lediglich gedrechselte Stangen waren. Wer so wählerisch war, der sollte gefälligst warten bis ich neue Äste aus dem Wald holen konnte.
Erschöpft von der ganzen Bastelei und traurig, dass meine Bemühungen so wenig Beachtung fanden, versank ich in einen Zeitungsartikel. Sicher würde es wieder nichts werden mit meinem Vogelbaum. Tage würde ich darauf warten, ob die Wellis ihn mögen oder nicht und ihn dann frustriert in die Tonne werfen wie schon so oft zuvor. In Gedanken versunken hörte ich plötzlich einige Flügelschläge und als ich hinüberblickte sah ich doch tatsächlich die dunklen Umrisse meines Wellensittichhahns Lenni, der auf dem Vogelbaum saß und aus dem Fenster schaute.
Der Artikel wurde am 06.08.2013 von veröffentlicht in der Kateogie: Geschichten.
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