Hinki das Suppenhuhn - oder: Sofie im Glück
Heute möchte ich Euch die Geschichte von Hinki erzählen, einem Legehuhn auf einem BIO-Hofgut.Ich war beruflich für ein paar (wenige) Monate im gastronomischen Bereich auf einem BIO-Hofgut beschäftigt, auf dem auch 80 Hybrid-Hühner gehalten wurden. Als wäre es heute, kann ich mich daran erinnern wie ich anfangs dachte, dass diese Hühner es doch wirklich gut getroffen haben: ein riesiges Freigelände wo sie nach Herzenslust rennen und scharren können und jeden Tag gibt’s als Dank ein leckeres Ei für uns Federlose. Tja, wie man sich täuschen kann…
Der Aufenthaltsbereich der Mitarbeiter war außerhalb des Gebäudes und schloss, getrennt durch einen Maschendrahtzaun, direkt an das Freigelände der Hühner an. Dort bekam ich dann auch mit, wie die Hühner gefüttert wurden – nämlich mit allen Resten und Speiseabfällen die die Hofgut-Küche so hergab. Obst und Gemüseabschnitte genauso wie Schnitzel, Sahnetorten oder Teigwaren – so gut wie alles wurde den Tieren über den Zaun gekippt. Natürlich war das auf der Seite des Gebäudes, die nicht von Außenstehenden einsehbar war. Irgendwie taten mir die Hühner leid, denn ich hatte mich zwar noch nie mit der Hühnerhaltung beschäftigt, aber dass das keine artgerechte Ernährung war, erschloss sich mir schnell.
Eines Tages nahm ich in dem futternden Durcheinander des Hühnerhaufens ein Huhn wahr, dass sich eigenartig bewegte, es hinkte. Ich konnte es allerdings nicht genau ausmachen und hatte es schnell wieder vergessen – die Arbeit rief.
Doch in regelmäßigen Abständen, sah ich das hinkende Huhn wieder und es schien wöchentlich schlimmer zu werden. Ich sprach den Chef des Areals an, doch der schmunzelte nur als ich ihm was von eventueller Verletzung und Tierarzt erzählte. Die Hühner wären schließlich Nutztiere und keine Haustiere. Außerdem dürften sie keine Medikamente nehmen, denn es wären BIO-Hühner. Das Huhn müsse ja nur noch wenige Monate aushalten, dann käme es eh in den Suppentopf.
Ich war nicht sonderlich überrascht über seine Reaktion, konnte jedoch gar nicht mehr weggucken. Als das Huhn (ich hatte es bereits Hinki getauft) einmal direkt am Zaun stand, konnte ich sehen, dass sich unter der einen Kralle ein großes Geschwür gebildet hatte. Es sah gar nicht gut aus. Sie konnte gar nicht mehr auftreten und schonte das Bein, wo es nur ging. Als ich sie dann an einem Tag nur noch an einer (matschigen) Stelle vor dem Stall liegen sah, wurde mir ganz anders. Sie kam noch nicht mal, als frische Speisereste über den Zaun geworfen wurden. Mir wurde klar – ich musste etwas tun! Nur was?
Erneut sprach ich den Chef auf das Huhn an und er gab nach: ich könnte es mitnehmen und zum Tierarzt bringen, aber es dürfe danach nicht mehr zurück auf den Hof. Spätestens in 4 Wochen aber, käme es zusammen mit den anderen zum Schlachter, wenn ich es bis dahin nicht mitgenommen hätte.
Doch wo sollte ich nur hin mit Hinki? Mit zu mir in die Mietwohnung – unmöglich! An einen anderen Landwirt geben, der bei mir in der Nähe Hühner hielt? Auch keine gute Idee, denn der ließ seine Hühner auch jeden Herbst schlachten. Wer konnte mir bloß helfen ohne mich für verrückt zu halten??
Wie es der Zufall will, musste ich in dieser Zeit mit einem meiner Wellis zum vogelkundigen Tierarzt. Nach der Behandlung fragte ich ihn einfach, ob er eventuell jemanden kennen würde, der Hühner artgerecht und mit Liebe und, falls nötig, mit medizinischer Betreuung hält. Mein Tierarzt schaute auf und deutete auf die Tür zum Sprechzimmer: ja, so jemanden kenne ich. Sitzt gerade draußen, hat wieder mal ein Huhn dabei.
Ich konnte es kaum fassen! Ehrlich? Und mir kam ein Gedanke – wenige Tage zuvor, hatte ich im welli.net von einer neuen Userin gelesen, die aus meiner groben Region kam und die irgendwo erwähnt hatte, sie hätte neben den Wellis auch Hühner. Hatte diese Userin nicht gestern geschrieben, sie müsse mit einer Henne zum Tierarzt? Was, wenn es eine Hühner-Henne war und gar keine Welli-Henne? Was wenn dieser jemand da draußen vor der Tür, die Userin aus dem welli.net war?
So nahm ich also all meinen Mut zusammen, und sprach die junge Frau an, die im Wartezimmer mit einer Katzentransportbox saß, aus der es frustriert gackerte. Bist Du vielleicht die Userin aus welli.net? – sie sah mich mit erstaunten Augen an und nickte.
Ihr Name war Nadja und wir kamen schnell ins Gespräch, während der Tierarzt in der Tür zu seinem Behandlungszimmer stand und zufrieden lächelte. Ich hielt auch nicht lange mit meinem Anliegen hinterm Berg und gestand Nadja mein Vorhaben die kranke Hinki zu retten.
Was soll ich sagen? Nadja war einverstanden! Ich ließ ihr noch eine Nacht zum drüber schlafen, aber diese Nacht machte auch Nadja nur noch entschlossener.
Es dauerte also nicht mehr lang und ich fuhr an einem freien Tag auf dem Hofgut vor – bewaffnet mit einer nagelneuen Katzen-Transportbox und Haferflocken. Ich streute die Haferflocken auf dem Freigelände aus und schnell waren alle Hühner da. Erst konnte ich Hinki nicht entdecken, die Hühner sahen alle so gleich aus. Aber dann konzentrierte ich mich auf die Füße der Hühner und hatte das kranke Füßchen schnell ausgemacht. Beherzt warf ich mich in den Hühnerhaufen und versuchte das richtige Huhn zu erwischen. Ich hatte Glück und ergriff Hinki beim ersten Versuch.
Sie war ganz lieb und hakte mir nicht wie befürchtet in die Wange als ich sie auf dem Arm hielt. Kurz bevor ich sie in die Transportbox setzte, konnte ich noch einen genauen Blick auf ihre Kralle werfen – das Geschwülst war Hühnereigroß! Ich war schockiert.
Ebenso schockiert war der Tierarzt, als er Hinki betrachtete. So etwas hätte er noch nie gesehen. Er zeigte mir, dass auch das andere Füßchen am Ballen stark geschwollen war. Seine Vermutung war, dass Hinki sich beim scharren an etwas verletzt hatte, und sich die Wunde dann entzündet hatte. Durch die anschließende Schonhaltung und die Mehrbelastung des anderen Fußes, wurde auch dieser in Mitleidenschaft gezogen.
Es folgte eine medizinische Behandlung, die sich über zwei Monate hinweg zog. Hinki bekam viel Antibiotika, wurde viermal operiert (pro Fuß zwei Mal), musste bandagiert werden und mehrmals für eine Woche beim Tierarzt in stationärer Behandlung bleiben. Nadja versorgte sie in den Phasen daheim rührend, verband ihr die eiternden Füße, bestrich sie mit Salbe, gewöhnte sie an normales Hühnerfutter (das erste was Hinki bei ihr gefressen hatte, waren Nudeln, weil sie Körner nicht kannte – zum Glück erinnerte sich Nadja an meine Berichte, sonst wäre Hinki womöglich vor dem vollen Futternapf verhungert).
Der Tierarzt kümmerte sich in den Phasen des Klinikaufenthaltes um sie und ich spielte den Chauffeur und seelischen Beistand.
Obwohl wir manchmal Zweifel hatten, ob es das richtig sei, Hinki so lange diesen Strapazen auszusetzen ohne Garantie auf Erfolg – der Tierarzt machte uns Mut. Er hatte einen richtigen Narren an Hinki gefressen. So erfuhr ich, als ich sie einmal vom Tierarzt abholte, dass sie die letzten Tage gar nicht in der Klinik untergebracht war, sondern zu Hause bei ihm. Und er erzählte mit warmer Stimme davon, wie sie mit ihm im Garten gelaufen wäre und wie toll sie den Käfern und Würmern nachgejagt hätte. Ich konnte es kaum glauben, dieser gestandene Tierarzt, oft etwas wortkarg und stets möglichst sachlich, erzählte so von einem ordinären Huhn und streichelte ihr zum Abschied über den Kamm???
Nun ja, was soll ich sagen: nach schier unendlich anmutender, nervlich und auch finanziell belastender Zeit, war es geschafft! Hinki’s entzündete Füße waren abgeheilt und die Bandagen konnten ab. Nadja und ich hatten soooo lange auf diesen Augenblick gewartet und Hinki hatte es so sehr verdient endlich ein schmerz- und tierarztfreies Hühnerleben zu führen. So kamen uns fast die Tränen, als wir Hinki mit gesunden, nackten Beinchen in ihren neuen Hühnerschwarm entlassen konnten. Sie war nur kurz etwas unsicher, wahrscheinlich wusste sie gar nicht mehr, wie sich das anfühlt. Nach ein paar Sekunden, rannte sie mit den anderen Hühnern über die Wiese um zu scharren, zu picken und anschließend ein ausgiebiges Sandbad zu nehmen. Der Hahn Morpheus war sofort und immer an ihrer Seite und wehrte jegliche anfängliche Eifersüchteleien der alteingesessenen Hennen ab. Es dauerte nicht lang und Hinki war fest in der Hühnerkommune integriert.
Hinki wurde von Nadja umgetauft und heißt nun Sofie, da wirklich nichts mehr an ihre Vergangenheit erinnern sollte. Sie lebt auch ein Jahr später noch ein sorgenfreies Hühnerleben und jedes Mal wenn ich Nadja besuche, bekommt Sofie ein Schälchen Haferflocken von mir. Ich für meinen Teil bin heilfroh über diese ganze Geschichte. Ohne Hinki-Sofie würde ich Hühner immer noch mit anderen Augen sehen. Heute weiß ich, dass sie ganz spezielle Anforderungen an die Haltung stellen und ausgesprochen soziale, eigenwillige und liebenswerte Tiere sind.
Und was mich natürlich besonders freut: Sofie hat sich nicht unterkriegen lassen, hat gekämpft, durchgehalten und – GEWONNEN!
Der Artikel wurde am 09.08.2013 von veröffentlicht in der Kateogie: Andere Vogelarten Blog.
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SunFlower aus BW (09.08.2013 - 00:19)
:) Ist das schön!
Zu sehen, dass Menschen sich um sonst so verachtete Tiere kümmern, das ist unglaublich toll.
Mega viel Respekt an euch beide, da ihr die Anstrengungen durhcgehalten und Sophie das Leben gerettet habt!
Zu sehen, dass Menschen sich um sonst so verachtete Tiere kümmern, das ist unglaublich toll.
Mega viel Respekt an euch beide, da ihr die Anstrengungen durhcgehalten und Sophie das Leben gerettet habt!
Conny aus Schönefeld (09.08.2013 - 10:01)
Soooo eine schöne Geschichte... bei uns rennen auch 6 Hühner über den Hof - von unserem Nachbarn - es sind wirklich liebenswerte, soziale und sogar zutrauliche Tiere!
Christina aus Hamm (11.08.2013 - 19:20)
Danke für diese tolle Geschichte! Und danke, dass du dich für Sofie eingesetzt hast!