Gegen Einzelhaltung / Ein halbes Leben in Einzelhaft
Was auch immer ich verbrochen hatte, es muss etwas wirklich Schlimmes gewesen sein.Ich kann mich nicht daran erinnern jemals etwas böse getan zu haben und doch wurde ich eingesperrt... ein halbes Leben alleine hinter Gittern!
Wisst ihr, ich erinnere mich nicht mehr an mein Eltern oder die Zeit als ich ein Küken war, obwohl ich gewiss auch mal so klein gewesen sein muss.
Schon früh verließ ich mein erstes Zuhause und kam zu einer Federlosen.
Ein kleiner Käfig in dem ich meine Flügel gerade so ausbreiten, aber niemals fliegen konnte.
Sie sprach mit mir, doch ich verstand sie nicht, obwohl sie es immer wieder probierte mit mir zu reden.
Es gab Tage an denen sie für mich da war und Tage an denen ich nach Gesellschaft rief und trotzdem alleine blieb.
Manchmal taten mir die Füße weh, denn die kleine Stange in meinem Käfig war viel zu dünn. Umso mehr genoss ich es, wenn sie mich ab und zu fliegen ließ. Das Gefühl von Freiheit, die Flügel breit auszustrecken, die Füße auf ebenen Flächen abzusetzen. Es waren meine Glücksmomente!
Am Anfang liebte mich meine Federlose. Sie lächelte mich oft an. Ich mochte sie auch, sie war das einzige Wesen, das überhaupt zu mir kam.
Doch die Jahre gingen ins Land und sie verlor immer mehr das Interesse daran mit mir zu sprechen.
Ich war so alleine!
Ich rief nach ihr und rief... bis mein Hals weh tat. Ich schrie, hoffte so sehr, dass sie mich hörte und zu mir kam!
Das tat sie auch, aber sie war böse. Sie wollte nicht, dass ich so laut nach ihr rief.
Sie machte mir Angst und trotzdem... sie war da! Ich wünschte mir, dass sie nie wieder weggehen würde. Und ich schrie weiter, um sie bei mir zu halten. Auch wenn sie so böse wurde.
Dann kam Besuch. Ein anderer Federloser.
Ich flatterte ein wenig, versuchte seine Aufmerksamkeit auf mich zu richten. Rief ihn zu mir.
Das Gespräch zwischen ihm und meiner Federlosen verstand ich nicht ganz, aber ihre Andeutungen zeigten mir, dass sie mich fliegen lassen wollte.
Ich liebte das Fliegen!
Doch ihr Finger zeigte auf das Fenster. Die Welt da draußen kannte ich doch gar nicht. Und sie war ohne meine Federlose. Wieder machte sie mir Angst. Mein Herz pochte laut.
Die beiden Menschenwesen unterhielten sich lange und dann am Ende des Tages nahm er mich in meinem Käfig mit.
Ich rief meiner Federlosen zu, dass ich entführt werde und dass sie bitte zu mir kommen solle, doch sie hörte mich nicht. Sie sagte mir auch nicht lebe wohl.
Verzweifelt hallte meine Stimme durch den Flur, dass ich in Zukunft bestimmt leiser sein könnte... aber es war zu spät.
Ich kam an einen fremden Ort. Der Mann hatte einen Hund. Das laute Bellen machte mir noch mehr Angst. Einen Tag blieb ich hier. Auch dieser Mann musste arbeiten und hatte keine Zeit für mich.
Dann wurde ich wieder in dieses rollende Gefährt gesteckt.
Es war so laut und unheimlich.
Wir hielten weit weg von meiner alten Heimat, an dem Geburtsort des Mannes.
Eine alte Federlose nahm mich kurzfristig auf, doch auch hier konnte ich nicht zur Ruhe kommen.
Wieder kam Besuch. Eine junge Menschenfrau und ihr Partner.
Auch sie nahmen mich einfach mit. Was sollte ich auch tun, sie waren alle viel zu groß, viel zu stark.
...Schon wieder ein neues Federloser. Er packte mich und untersuchte mich. Trotz der Maden im Futter und dem Zusammenstoß mit einem Fliegenfänger vor einiger Zeit war ich gesund.
Im neuen Zuhause angekommen blieb ich in einem Raum, wo die Federlosen ab und zu herein kamen. Ich zählte die Tage nicht mehr.
Sie sprachen mit mir, doch ich hatte einfach nur noch Angst vor den Menschen. Hätten sie mich angefasst, ich wäre nicht weggegangen. Das habe ich auch früher nicht, ich habe alles über mich ergehen lassen.
Doch sie erkannten an meinem Zittern, dass ich sie fürchtete und hielten Abstand.
Dann kam der Tag, an den ich mich noch genau erinnere.
Ich wurde in einen großen Raum gebracht, in dem ein ganz großer Käfig stand. Dort waren zwei kleine Fremde. Sie hatten Federn!
Auch sie sprachen eine andere Sprache... aber sie hatten Federn. Ich konnte es nicht glauben.
Und dann so ein großer Käfig für nur zwei Gefiederte von so kleiner Statur.
Wisst ihr, auch wenn ich erst begeistert war. Die beiden kennenzulernen war nicht so einfach wie es sich anhört. Ich hatte so große Angst, besonders vor dem Weibchen.
Keiner war böse oder wollte etwas von mir... aber sie aß von meiner Kolbenhirse ohne mich zu fragen. Sie hatte überhaupt keine Angst.
Doch dann nahm ich allen Mut zusammen und betrat den großen Käfig.
Sie ließen mich herein. Ich fing an die Kleinen zu mögen, auch wenn sie insgesamt ziemlich ungestüm waren.
Aber auch sie sprachen meine Sprache nicht.
Ich sah die Zwei, wie sie zusammen saßen, sich gern hatten.
Sogar die zwei Federlosen waren ein Paar.
Plötzlich fühle mich wieder einsam, so schrecklich einsam...
Mein Schreien begann am Morgen und endete in der Nacht.
Und ich wurde erhört!
Eines Tages hörte ich ein Rufen... nicht weit weg, als käme es aus dem Raum, in dem ich vorher auch war. Ich war so aufgeregt. Diese Sprache kannte ich!
Alles verstand ich nicht, denn ich hatte ein wenig verlernt richtig zu reden, doch ich unterhielt mich lautstark durch die Tür. Eine Dame? Ich glaube ich verliebte mich schon damals in diese hübsche Stimme!
Dann traf ich sie.
In einem Käfig wurde sie hereingebracht. Sie sah mich an und rief mich.
Ich war so schüchtern, traute meinen Augen und meinen Füßen nicht mehr... konnte keinen Schritt gehen. Meine Flügel waren wie versteift,
Ich sah diesen wunderschönen Engel... und in diesem Moment gehörte ihr mein Herz komplett.
Und mein Schreien war von dem einen auf den anderen Augenblick verstummt.
Ich hatte sie gefunden... die Eine, mit der ich reden konnte und die mich in eine neue Welt entführte.
Sie war jünger und aktiver, doch ich genoss es auch nur dazusitzen und ihr dabei zu zuschauen, wie sie Kork knabberte, in den Ästen turnte oder mit den kleinen Bunten unterwegs war.
Ich weiß nicht wie alt ich bin, denn ich habe die Jahre vergessen.
Laut dem Ring und dem Federlosen in weißer Kleidung war ich zu der Zeit wohl ungefähr 10 Jahre alt.
So lange alleine, so lange und so oft hinter Gittern. Für euch Federlosen schon eine lange Zeit... doch für mich ein halbes Leben lang!
Hier gab es auch Gitter in diesen Riesenkäfigen, doch wir waren nie eingesperrt. Diese Türen standen immer offen.
Meine Herzenshenne und ich wurden schnell ein enges Paar, ich genoss ihre Zuneigung unendlich. Es tat so gut, wie sie meinen Kopf kraulte, mit mir schnäbelte und immer wieder zu mir zurück kam.
Ihre Rufe... endlich wurde ich auch gerufen!
Nächste Woche werden es zwei Jahre.
Ich hoffe ich werde meine Liebste nie verlieren. Diese zwei Jahre fühlen sich viel intensiver an, als alle Jahre zuvor!
So viel haben wir zusammen erlebt, so viel möchte ich noch mit ihr erleben...
Meine ganz persönliche Geschichte gegen Einzelhaltung!
Danke, dass ihr mich nun auch gehört habt!
Der Artikel wurde am 12.08.2013 von Seelenvogel veröffentlicht in der Kateogie: Geschichten.
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Felicia aus Amberg (12.08.2013 - 10:11)
*schnief* ist das eine wunderschöne Geschichte !! So traurig am Anfang, so glücklich am Ende. Man kann sich richtig vorstellen, wie es in dem Nymphen wohl aussehen mag. Ich wünsche ihm und seiner Henne noch viele viele tolle Jahre-gemeinsam :)
annie aus zuhause (13.08.2013 - 13:17)
....mit tränen in den augen schreibe ich hier......wie wundervoll doch diese kleinen zauberhaften wesen sind! und was manche menschen mit ihnen anstellen....aber zum glück gibt es noch menschen mit viel ♥ und verstand.danke für diese !!!
Sabine aus Essen (13.08.2013 - 19:41)
Hallo Seelenvogel,
nachdem ich meine Tränen getrocknet und mein Schluchtzen unter Kontrolle hatte, sage ich Dir: eine wunderschöne Geschichte, haste gut gemacht !!!
Toll, dass es Menschen wie Dich gibt.
nachdem ich meine Tränen getrocknet und mein Schluchtzen unter Kontrolle hatte, sage ich Dir: eine wunderschöne Geschichte, haste gut gemacht !!!
Toll, dass es Menschen wie Dich gibt.
Stefanie Vogt aus Bad Vilbel (14.08.2013 - 09:57)
Eine herzige und wunderschöne Geschichte, die Tränen laufen immer noch....Danke Seelenvogel
Steffi aus Wesel (15.08.2013 - 08:35)
Hallo Seelenvogel,das ist wirklich eine sehr traurige Geschichte, mit einem wundervollem Ausgang...Ich hoffe für die Beiden und für Euch, daß sie ihre Liebe noch ganz lange bei Euch leben werden......L.G.Steffi
Tanja Stern aus Wiesbaden (19.08.2013 - 23:47)
Habe Tränen in den Augen vor Rührung. Schön, traurig und einfühlsam geschrieben, so könnte sich ein Einzelvogel wirklich fühlen. 10 Jahre alleine ist auch SEHR lange! Viel viel viel zu lange. Die Fotos vom liebevollen Kraulen sind wunderschön. Danke.
Welliliebe aus Schwentinental (27.05.2020 - 11:19)
Hallo Seelenvogel, Deine Geschichte hat mich sehr berührt. Insbesondere deshalb, weil meine Freundin nicht von der Einzelhaltung ihres Wellis abzubringen ist. Mir tut das Tier jedes Mal leid, wenn es zu mir in die Urlaubsbetreuung kommt. Ich würde mich freuen, zu hören, ob die zwei Vetliebten noch zusammen glücklich sind. Herzliche Grüße, Sabine