Von einem, der auszog, um nun unter den Seinen zu leben II
Ihr Lieben,es war eine große Freude für mich zu hören, dass mein letzter Brief Euch so gut gefallen hat. Aus diesem Grund möchte ich Euch die neusten Entwicklungen nicht vorenthalten und schreibe Euch heute wieder.
Es hat sich viel verändert in meinem Alltag. Während ich früher den Tag meistens allein und in aller Ruhe in meiner Behausung verbrachte und nur selten einen Besuch bei meinen ungefiederten großen Freunden wagte, verbringe ich jetzt auch sehr viel Zeit mit Kumpel Jerry und Dame Budgie, von denen ich Euch ja bereits in meinem letzten Brief berichtete.
Diese häufigen Begegnungen ergeben sich jetzt zwangsläufig, da wir netterweise zu direkten Nachbarn geworden sind. Unsere Behausungen wurden direkt nebeneinander geschoben, so dass sie im rechten Winkel zueinander stehen. Dadurch ergab sich davor ein recht netter Tummelplatz, auf dem sich seit heute ein interessantes Klettergerüst befindet. Des Weiteren steht dort auch der Computer meiner ungefiederten Freunde und dieser ist, sobald einer von Ihnen anwesend, mein Lieblingsplatz.

Es ist eine sehr aufschlussreiche Beschäftigung, zwischen den einzelnen Tasten zu knabbern, was seit Neustem allerdings leider durch eine aufgelegte Folie verhindert wird, dessen Sinn ich nicht ganz verstehe. Dafür wage ich jetzt das eine oder andere Mal, selbst die eine oder andere Taste mit dem Fuß oder dem Schnabel zu betätigen.
Dies allerdings findet der jeweilige ungefiederte Freund meist nicht so lustig und oft werde ich auch von meinem Platz verdrängt, damit dieser selbst die eine oder andere Taste drücken darf. Aber ich weiß mich inzwischen tapfer zu wehren und bin in der Lage die eine oder andere schmerzhafte Lektion zu erteilen. Wenn ich es jedoch zu bunt treibe, muss ich doch schon mal gezwungenermaßen den Rückzug in meine Behausung antreten.
Auch der kleine schwarze Gegenstand am Kabel, von meinen ungefiederten Freunden unsinnigerweise „Maus“ genannt, birgt viele Möglichkeiten. So entlockt es den jeweiligen Benutzern oft einen kurzen Schrei, wenn es mir gelingt, die eine oder andere Funktion an dieser „Maus“ auszulösen oder mit der Hand, die diese „Maus“ bewegt einen kleinen Boxkampf auszufechten.
Von Zeit zu Zeit betrachte ich auch gerne die große Leinwand an diesem Computer, auf der viele bunte Bilder zu sehen sind, neulich jedoch auch ein mir leider unbekannter gefiederter Freund mit einer sehr schönen Ausdrucksweise, denn man konnte ihn reden hören. Ich hätte die Bekanntschaft gerne vertieft, anspruchsvolle Kommunikation ist in meinem neuen Zuhause keine gepflegte Tugend, aber leider reagierte er überhaupt nicht auf meine Versuche der Kontaktaufnahme und dann war er plötzlich verschwunden. Also muss ich mich weiterhin mit dem Kumpel Jerry und der Dame Budgie begnügen, was ja auch recht unterhaltsam ist, da ich deren merkwürdige Ausdrucksweise langsam zu verstehen beginne.

Zu einem Besuch auf deren Terrasse konnte ich mich noch nicht entschließen, auch wenn es sicherlich sehr unhöflich erscheint. Zurzeit fahren sehr viele große Fahrzeuge auf der Straße bei dieser Terrasse und ich empfinde sie nicht als einen schönen Aufenthaltsort. Dafür kommen die beiden mich sehr oft besuchen und laden mich immer wieder in ihre Behausung ein, wo wir uns dann oft erst einmal ein Schläfchen gönnen.
Heute habe ich sogar zum ersten Mal deren Badewanne benutzt. Es war sehr nett von den beiden, mir dies zu gestatten, da sie die Badewanne neu erworben haben und ich sie einweihen durfte. Praktischerweise ist diese Badewanne komplett durchsichtig, was unserem regelmäßigen Badeunterricht sehr entgegenkommt. Die beiden sind wirklich zwei sehr gelehrige Schüler, heute jedoch waren sie mir etwas zu aufmerksam. Denn während ich mich mal wieder gekonnt in den Fluten wälzte, um den beiden anschaulich meine Kunst nahezubringen, machte Kumpel Jerry ebenfalls Anstalten, sich dem Bade hinzugeben.
Obwohl meine ungefiederte Freundin in der Zwischenzeit schon eine zweite, ebenfalls neue Badewanne an anderer Stelle der Behausung angeracht hatte, hatte Kumpel Jerry offensichtlich die Absicht, zu mir ins Badewasser zu steigen. Einerseits wollte ich meinem Badevergnügen weiter nachkommen und mich ungern vertreiben lassen. Andererseits war es mir doch etwas unangenehm, das Badewasser mit ihm zu teilen. Versteht mich nicht falsch, ich mag Kumpel Jerry sehr gern, aber es gibt doch gewisse Dinge in meinem Leben, die ich lieber alleine vollbringe.
Aber als Lehrer durfte ich keine Schwäche zeigen und bin unbeirrt in meinem Tun fortgefahren. So kam es also, dass wir uns wirklich zu zweit die kleine Wanne teilten und es stellte sich als nicht so unangenehm heraus, wie zuvor befürchtet.

Als jedoch die Dame Budgie auch Anstalten machte, das gleiche Bad zu betreten, bin ich doch geflüchtet. Da bin ich an meine Grenzen des Anstands gestoßen und habe mich zurückgezogen. Dadurch konnte ich jedoch gut beobachten, dass ich mit meinem Unterricht bereits große Erfolge erzielt habe. Besonders Kumpel Jerry entpuppte sich als ein gekonnter Bader, während Dame Budgie sich doch noch etwas ziert. Aber auch sie hat Fortschritte zu verzeichnen.
Ich glaube, wir haben uns alle drei noch nie so ausdauernd und intensiv dem Badevergnügen hingegeben und ich bin doch jetzt recht erschöpft.
Von meinen ungefiederten Freunden werde ich sehr gut gepflegt, auch wenn sie nicht so viel Zeit mit mir verbringen, wir Ihr es damals tatet. Aber sobald sich einer von ihnen in unserer Kammer zeigt, werde ich sehr intensiv betüdelt und bekomme auch sehr viele Kuscheleinheiten. Der Größte der ungefiederten Freunde ist noch sehr zurückhaltend und zuckt immer etwas zusammen, wenn ich seine Schulter als Landeplatz verwende. Aber seine kurze Frisur und der Hemdkragen bilden einen sehr schönen Aufenthaltsort für mich während der Mahlzeiten. Vom Tisch darf ich allerdings nicht mehr essen, außer es wird für mich ein eigener Teller mit den gewohnten Körnern dazugestellt. Diese Augenblicke genieße ich sehr, im Kreise meiner ungefiederten Freunde meine Mahlzeiten zu mir zu nehmen.
Jetzt werde ich mir erst einmal ein kurzes Schläfchen gönnen, um dann heute Nachmittag einmal das neue Klettergerüst näher in Augenschein zu nehmen.
Ich hoffe, es geht Euch gut und schicke Euch viele Grüße,
Euer Butschie

Der Artikel wurde am 19.03.2014 von veröffentlicht in der Kateogie: Geschichten.
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