Schlupftag eines Federlosen
Es war Abend geworden und der alte Seniorenwellensittich Old Grey brachte seine Enkelkinder wie jeden Abend zu den Schlafschaukeln. Da saßen die Beiden nun und wippten langsam der Schwingung der Schaukel folgend von vorne nach hinten. Old Grey, der manchmal etwas brummelige alte Wellensittichopa, der wie sein Name schon verriet ein graues Gefieder hatte, wollte schon auf der Kralle kehrt machen und sich umdrehen, als er von Little Boy und Sweet Girl ein flehendes Zwitschern vernahm. „Bitte, Old Grey, bitte erzähl uns eine Geschichte...Bitteeeeeeee...!" So verharrte er auf einem Fuß, der mit seinen langen mittlerweile dunkel gewordenen Krallen sicher den Ast umschlossen hielt. Der sehr große, stämmige aber zugleich anmutig wirkende Standardwellensittich hatte nichts von seiner Strenge verloren. Sein Adlerblick war stechend genau, und dennoch wussten die beiden kleinen Wellis, dass sie das weiche Herz erreichen würden, wenn sie erst die scheinbar so harte Schale des alten Seniors durchbrochen hätten. Noch einmal zwitscherten sie ein Herz erweichendes und
langgezogenes „Bitteeeeeeeeeee...“ Und schon schmolz die harte Fassade des alten Wellis und ein freudiges Blitzen durchzuckte seine Augen, welches den kleinen Dränglern verriet, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Old Grey positionierte sich in seiner gewohnt stolzen Art, wie immer während er von seinem langen Wellileben und all den Abenteuern erzählte, die er bereits erlebt hatte. Little Boy, der kleine schmächtige Grünling und Sweet Girl, die sonnige kleine Lutinodame machten es sich ebenfalls Schnabelknirschend gemütlich. Kaum saßen sie, begann Old Grey …. „Wisst ihr, meine Kleinen... wisst ihr was heute für ein besonderer Tag ist ?“ Die kleinen verneinten... „Dann lasst mich euch erzählen...Heute vor 35 Jahren, die Federlosen nennen es so, wenn die Zeit von einem bis zum nächsten Frühjahr vergangen ist, war ein ganz besonderes Ereignis im Hause meines Vaters. Er erzählte mir damals davon. Hört gut zu, damit ihr das nicht verpasst. Denn es ist ganz schön spannend, was euer Großvater da miterleben durfte....
Mein Vater Lord lebte damals mit seiner dicken, immer meckernden Henne, der ollen Berta in Hildesheim. Wo genau das liegt kann ich euch gar nicht sagen. Bei Wellipedia habe ich allerdings gelesen, dass es dort einen 100 jährigen Rosenstock geben soll, der sicher viele leckere Hagebutten im Herbst für die Wellischnäbel bereit hält. Lecker, diese kleinen, feinen Körnchen...ein Hochgenuß für jeden Feinschmecker-Schnabel... doch zurück zu Lord. Alles begann bereits eine ganze Weile zuvor. Lord und Berta waren gewohnt von ihrer Federlosen Heidi liebevoll versorgt zu werden. Heidi brachte den beiden jeden Tag leckere Körnchen, füllte frisches Wasser ins Näpfchen und sorgte dafür dass keine Welliwünsche offen blieben. Eines Tages bemerkten sie jedoch, dass sich Heidi zu verändern begann. Sie brachte zwar immer noch alles was das Herz begehrte, beschäftigte sich mit den beiden, doch schien sie jeden Tag ein klein wenig zu wachsen. Euer Großvater Lord hatte ein Auge dafür, kann ich euch sagen. Seinen Adlerblick habe ich geerbt und unseren Blicken entgeht nichts. Heidi wuchs also, aber nicht etwa in die Höhe, sondern eher etwas in die Breite. Genauer gesagt wurde der Bauch der Federlosen Henne irgendwie von Tag zu Tag etwas dicker und runder. Anfangs dachte euer Großvater Lord noch, dass es sicher daran läge, dass die Federlose ein paar Körnchen zu viel gefuttert hätte. Aber nachdem sich nach einigen Monaten schon eine richtig dicke Rundung unter dem Pullover abzeichnete, bezwitscherte Lord mit seiner Henne Berta seine Beobachtung. Schließlich hatte Berta selbst ja auch mit Gewichtsproblemen zu kämpfen und könnte der geliebten Federlosen bei Bedarf vielleicht von Henne zu Henne ein paar Tipps ins Ohr zwitschern, damit das Ganze keine all zu ausufernden Ausmaße annehmen würde. Lord sorgte sich,wie Hähne eben so sind, dass er irgendwann aufgrund des ausgedehnten Appetits seiner Federlosen vielleicht selbst zu kurz kommen könnte.
Die Zeit verging und die ins Ohr gezwitscherten Tipps von Berta, führten bei der Federlosen Heidi nicht wirklich zum Erfolg. Ganz im Gegenteil. Ihr Bauch wurde immer dicker und dicker. Wie eine kleine Federlosenkugel sah sie mittlerweile aus. Auch hatte die Federlose nicht mehr so viel Zeit sich mit den beiden Flattermännern zu befassen, da sie ständig damit beschäftigt war, mit zwei langen Dingern die Nadeln heißen, und etwas Wolle kleine Mützchen, Söckchen und anderen Kram zu stricken. Stricken, ja, so sagte die Federlose immer dazu. Sie fertigte all das, was die Federlosen eben so brauchen. Denn jeder Welli wusste ja, dass Federlose aussahen wie nackte Hühnchen, so ganz ohne Federn. Deshalb ziehen sie Kleider an. Lord und Berta saßen von nun an oft Stundenlang auf ihrem Freisitz und beobachteten ihre Federlose dabei, wie sie all die wundervollen Dinge herstellte. Eure Großeltern konnten sich einfach nicht erklären, wie ein so kleines Mützchen jemals den Kopf eines so großen Federlosen passen sollte. Aber schließlich musste die Federlose ja selbst wissen, was sie da tat, darum konnte sich euer vielbeschäftigte Welliopa Lord nicht auch noch kümmern.
Eines Morgens jedoch, war die Federlose plötzlich weg. Es war am 30.11.1978, ein Donnerstag.... und die Federlose Heidi, die sonst so zuverlässig und liebevoll für das Wohl eures Großvaters und seiner Berta sorgte, war einfach verschwunden. Einfach weg. Statt dessen kam eine andere Federlose, eine ältere, welche die Körnchen brachte und frisches Wasser ins Näpfchen füllte. Doch Lord und Berta hatten gar keinen richtigen Hunger. Zu sehr vermissten sie ihre geliebte Federlose und wünschten sich sehr, sie hätten diese nicht mit den gut gemeinten Diätratschlägen in die Flucht geschlagen. Mit gesenktem Köpfchen setzte sich Lord in die Käfigecke und auch die eigentlich immer hungrige Berta legte den Schnabel ins Rückengefieder und dachte nach. Die Körnchen blieben an diesem Morgen unangerührt liegen. Eure Großeltern dachten nach, über die letzten Wochen, die sie mit ihrer Federlosen verbracht hatten. Nichts, aber auch gar nichts hatte auf ihr Verschwinden hingedeutet. Nun war sie also weg....Traurig schliefen beide Wellis ein und erwachten erst wenige Stunden später wieder. Aber auch nun war die Federlose noch nicht wieder zurück gekehrt.
Einige Tage vergingen und bei jedem Geräusch wurden Lord und Berta ganz unruhig, wenn sie die Tür im Flur hörten, oder Stimmen vernahmen. So sehr hofften sie und warteten immer darauf, dass die vermisste Federlose vielleicht doch noch zurückkehren würde und mit ihr, die guten alten Zeiten. Doch nichts... immer nur ein kurzer Besuch der älteren Dame die sich selbst als Omi betitelte und die zwischen Tür und Angel die wichtigsten Handgriffe für die beiden einsamen Wellis
erledigte, bevor sie wieder verschwand. Lord schlief an diesem Abend, nachdem er wieder einmal lange über alles nachgedacht hatte ein. Er träumte von den Zeiten des Freiflugs, den frischen Salatblättern, die ihnen Heidi immer eingehängt hatte und den schönen Momenten der Geborgenheit, die er und eure Großmutter Berta mit ihrer Federlosen erleben durften....
Plötzlich wurde er durch etwas aus dem Schlaf gerissen.Was war das nur? Lord öffnete noch etwas verträumt die Augen. Leicht verschwommen nahm er seine Umgebung wahr. Es war bereits wieder Tag geworden und im Flur hörte er ein ungewohntes Geräusch. Es hörte sich wirklich seltsam an. Ein schreien, oder so etwas. Solch ein Geräusch hatte Lord noch nie gehört. Aufgeregt flatterte er zu Berta und zupfte die noch schlafende Henne an den Schwanzfedern, so dass sie fast von der Schlafschaukel stürzte. Empört zeterte sie ihn an...als sie durch das immer lauter werdende und seltsame Geräusch unterbrochen wurde. So etwas hatte auch Berta noch nie zuvor vernommen.... Lord und Berta bekamen Angst, setzten sich beide dicht aneinander gedrängt auf den hintersten Ast im Käfig und machten sich ganz schmal. Das Gefieder angelegt, die Köpfchen leicht geduckt. Kein Mucks war von den beiden sonst so fröhlich zwitschernden Wellis zu hören. Gespannt warteten eure Großeltern darauf, ob sie noch einmal etwas hörten. Doch Stille....
Ohne Vorwarnung und mit einem Schwung wurde die Tür geöffnet und beide flatterten vor lauter Schreck wie wild im Käfig umher. Kurz bevor euren Großvater Lord jedoch absolut die Panik ergriff, fiel sein Blick auf eine vertraute Person. Die Federlose, Heidi, sie war wieder da.... !!!
Freude vertrieb den Schock der letzten Sekunden und Lord kletterte laut zwitschernd und rufend zum Türchen des Käfigs. Auch Berta kam sofort hinterher. Beide warteten laut nach ihrer Federlosen rufend, bis diese sie begrüßen und das Käfigtürchen öffnen würde. Euren Großeltern hüpfte vor Freude das Herz, als sie erblickten, dass ihre geliebte Federlose doch wieder zurück gekommen war. Diese näherte sich nun langsam dem Käfig. Lord beobachtete sie dabei ganz genau. Die Federlose sah etwas müde aus, aber sehr glücklich. Ihr Gesicht schien wie eine Sonne zu strahlen und auch ihr Bauch war auch ein kleines bisschen dünner geworden. Das lag sicher am Erfolg der Diät, dachte euer Großvater bei sich. Doch was war das ? Was die Federlose da im Arm hielt ? Als Heidi nah genug am Käfig stand, das Türchen öffnete und Lord und Berta zur Begrüßung auf die Schulter der Federlosen geflogen waren, da erblickten sie etwas ganz Besonders... Zuerst etwas, dass sie schon kannten. Das Bündel, welches die Federlose da trug..., es hatte ein das Mützchen auf, und die Söckchen an, über dessen Größe sich die beiden Wellis immer gewundert hatten. Doch was steckte nur darin ? Es war ein ganz kleiner Federloser, der darin eingepackt war und dem diese Dinge nun haargenau passten. Auf dem kleinen Köpfchen die Mütze und an den klitzekleinen Füßen die Söckchen. Ganz winzig, natürlich immer noch riesig für einen Welli, war der kleine Federlose. Seine kleinen Äuglein blinzelten und in der Mitte des Gesichts war eine kleine Stubsnase sichtbar. Euer Großvater Lord legte das Köpfchen schief und betrachtete den kleinen Federlosen sehr genau. Das war also das Ding, was so komische Geräusche von sich gab und was so schrie ? Scheinbar schon... Jetzt lag der kleine Federlose ganz ruhig geworden, im Arm seiner Mama. Sie streichelte dem kleinen Federlosen ganz sanft über die Wange, und sagte zu Lord und Berta: „Seht ihr, ihr beiden... das ist mein kleiner Sohn Stefan. Er ist gerade geboren und gehört nun zu unserer Familie. Sagt ihm Hallo !“
Old Grey räusperte sich, strich mit seinem Schnabel sein Gefieder an der Brust glatt und erzählte den gespannt zuhörenden Enkelwellis das Ende der Geschichte....
„Ihr könnt gar nicht glauben wie überrascht eure Großeltern waren. Ihre geliebte Federlose war wieder zurück und mit ihr ein weiterer, kleiner Federloser. Die Freude war auf allen Seiten sehr groß und nachdem die beiden den kleinen Federlosen ausreichend willkommen geheißen und begrüßt hatten, gab es eine extra Portion Kolbenhirse. Die beiden hatten sie vor lauter Freude so schnell gefuttert, dass kein Körnchen mehr davon übrig war und die Kröpfchen kurz vorm platzen standen. Aber das durfte an einem so besonderen Tag auch sein. Dem Schlupftag eines Federlosen...
Lieber Stefan,
wir alle, haben dir diese Geschichte zum Schlupftag eines Federlosen gewidmet. Wir, die User von Welli.net haben schon oft erlebt, dass Welli.net nicht einfach nur ein Portal oder ein Forum ist,sondern ein Stück Familie. Wir alle haben viel Wissen zu Gunsten unserer Federchen, Freude, Austausch, Gemeinschaft in schweren Stunden und wichtig gewordene Freundschaften hier gefunden und erleben dürfen. Gäbe es Welli.net nicht, wären diese vielleicht niemals entstanden. Wir alle wissen, dass es Welli.net ohne dich und dein tatkräftiges Zutun nicht gäbe. Für viele von uns, aber auch unsere Wellis würde dadurch etwas ganz entscheidendes und wichtiges fehlen.
Deshalb wollen wir dir heute einmal mehr DANKE sagen für all das !!!
Für diese Seite, deinen Einsatz, dass du uns noch nicht aufgegeben hast, wenn es vielleicht auch manchmal nicht ganz so einfach war und all die wundervollen Stunde und Momente.
Als „Papa“ von Welli.net wollen wir dir heute außerdem alle von Herzen zu deinem 35. Schlupftag gratulieren. Ein ganz besonderer Federloser, der da geboren wurde und der vielen Federchen und vielen Menschen durch sein Dasein ein wundervolles Geschenk beschert hat.
Wir wünschen dir von Herzen alles Liebe und Gute zu deinem Geburtstag, viel Glück, Erfolg, Gesundheit, Freude am Leben, Freundschaften die Bestand haben und besonders viel Kraft für all die vielen Dinge, die es noch bei Welli.net zu tun gibt.
Herzlichst, deine Welli.net Familie
Der Artikel wurde am 30.11.2013 von Ive84 veröffentlicht in der Kateogie: Geschichten.
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Barbara aus 45549 Sprockhövel (30.11.2013 - 13:55)
Lieber Stefan, ich möchte mich ganz herzlich den lieben Geburtstagsgrüßen anschließen und Dir alles, alles Gute zum Geburtstag wünschen! Die Schlupftagsgeschichte ist wnder, wunderschön und mit viel Liebe geschrieben!!!!!!