Erinnerungen an meinen einzigen Freund
Wo bist du nur? Das ist der fieseste Streich, denn du mir je gespielt hast! Du weißt doch, dass ich ohne dich nicht sein kann. Noch nie hast du mich so lange allein gelassen. Vielleicht willst du dich nur ausruhen, denke ich. Gestern warst du doch so müde, dass du dich kaum auf dem Ast halten konntest. Das letzte, was ich von dir gesehen habe, war die stille Dankbarkeit in deinen Augen, als ich neben dir saß und einfach da war. Und dann dein Kampf mit der Hand, die dich erbarmungslos aus meiner Welt gerissen hat.---
Weißt du noch?, flüstert alles in dem Zimmer, das mich gefangen hält, getrennt von dir. Es klang beinahe höhnisch, als ich dich auf sonst unbenutzten Ästen unseres Spielplatzes und sogar hinter der Jalousie suchte. Ich wollte nicht glauben, dass du mich für immer verlassen hast, auch wenn die Federlose erzählte, dass du trotz Infusion die Nacht nicht überstanden hast. Aber das war vor unzählbaren Minuten, als ich noch wusste, was Hoffnung ist.
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Stille. Leere, die alles ausfüllt.
Ich tue nichts, denn warum sollte ich ein Recht auf etwas haben, das du, der beste Wellensittich, denn ich jemals gekannt habe, nicht hat? Leben. Es ist ohnehin erbarmungslos, Schmerz zerschneidet mein kleines Herz, das immer noch viel zu schnell schlägt. Nur der Hand zuliebe, die manchmal meine Verlassenheit durchbricht, fresse ich ein bisschen. Sie ist warm und lebendig, und sie kennt dich. Sie darf nicht glauben, dass auch ich sie verlasse.
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Eine Woche ist vorbei, und ich lebe noch. Ich gebe mir alle Mühe, die Körnchen zu schlucken, auch wenn sie so im Kropf kratzen. Wahrscheinlich gebe ich trotzdem ein jämmerliches Bild ab, denn eine überwältigende Müdigkeit greift nach mir und ich verliere an Gewicht. Was heißt Gewicht, vorher war ja auch schon recht leicht. Wie eine Feder. Eine grüne Feder... Ach Chili, wusstest du, dass leben so viel besser ist als existieren? Ich glaube nicht, denn du hast nie erfahren, was es heißt, seinen besten Freund zu verlieren; blühende Lebensfreude blitzte aus deinen Augen, wenn du mir stundenlang von weltbewegenden Dingen erzählt hast. Weißt du, Einsamkeit tut so weh. Ich meine jetzt nicht in meinem Herzen, über diese bodenlose Leere möchte ich gar nicht reden, auch wenn sie sich wie ein dunkler Schleier über all meine Gedanken und Gefühle legt. Nein, sie tut auch auf eine ganz andere Art weh, nämlich physisch. Die Megabakterien waren noch nie so fies... Ich kann nicht ohne dich.
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Sie sind zurück. Schön, vielleicht bekomme ich dann gleich noch mal Kolbenhirse... Doch dann – ich stutze, dein Bild drängt sich mir mit überwältigender Macht auf, als ich höre, wie Gefieder geschüttelt wird. So real war die Illusion noch nie, und als ich sie von mir schiebe, rächt sie sich mit scharfem Schmerz, so frisch wie an dem Tag, als ich verstand, dass du mich verlassen hattest.
Da – ein zartes Tschilpen und er sitzt dort und putzt sich - sichtlich ungerührt von der neuen Situation – ausgiebig das graue Gefieder. Es ist nicht grün, aber es gehört einem Wellensittich! Meine Vernunft schreit, ich darf das nicht glauben, der Schmerz der Enttäuschung würde mich das Leben kosten – doch wofür lebe ich denn ohne einen Freund, der meine Sprache spricht? - und so siegt nach einer Viertelstunde mein Herz, und ich fliege mit aller Kraft in Richtung Käfigtüre.
Sie ist geschlossen, aber die Hoffnung hat mein Herz weit geöffnet. Chili, ich glaube, ich darf wieder leben.
Der Artikel wurde am 18.12.2010 von Cerise veröffentlicht in der Kateogie: Allgemeines im Blog.
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Manuela aus haag (18.12.2010 - 22:46)
sehr rührend deine geschichte ich musste glatt heulen.
cerise aus BaWü (19.12.2010 - 00:36)
... leider ist sie wahr: Chili ist letzte Woche gestorben und Pepe, der hier erzählt, hat sehr darunter gelitten. Er ist viel zu dünn und hatte ziemlich lange Durchfall. :(
Ich hoffe, dass der süße Neuzugang ihm hilft, wieder der Alte zu werden - heute Abend wollte er jedenfalls unbedingt zu ihm, was schon mal ein gutes Zeichen ist. Pepe muss aber noch ein paar Tage damit warten, bis wir den Eingangscheck hinter uns gebracht haben.
Ich hoffe, dass der süße Neuzugang ihm hilft, wieder der Alte zu werden - heute Abend wollte er jedenfalls unbedingt zu ihm, was schon mal ein gutes Zeichen ist. Pepe muss aber noch ein paar Tage damit warten, bis wir den Eingangscheck hinter uns gebracht haben.
asti aus siegen (11.01.2011 - 22:51)
sehr schön geschriebene Geschichte.Wie geht es Pepe nun, hat er sich mit dem süßen Neuzugang angefreundet? Und was hat es mit den Megabakterien auf sich? Chili hatte welche..? und Pepe hat sie unter? Auch wir haben 2 Tage vor Weihnachten 2010 unseren Puppi durch Megas verloren.
Jetzt ist Coco alleine.. er hat noch 2 Freunde, Agaporniden, doch richtig unterhalten kann er sich mit den beiden nicht...bald wird er wieder einen Freund haben!
Jetzt ist Coco alleine.. er hat noch 2 Freunde, Agaporniden, doch richtig unterhalten kann er sich mit den beiden nicht...bald wird er wieder einen Freund haben!
cerise aus BaWü (14.01.2011 - 18:03)
Beide sind bzw. waren mit Megas infiziert. Es tut mir leid, dass auch Coco seinen Freund verloren hat - schön, dass der Neuzugang bald da ist.
Mit Pepe ging es steil aufwärts, sobald Timmy da war. Er hat innerhalb von wenigen Tagen ganze 10g zugenommen und ist wieder ganz der Alte. Gerade singt er seinem Freund etwas vor. :)
Mit Pepe ging es steil aufwärts, sobald Timmy da war. Er hat innerhalb von wenigen Tagen ganze 10g zugenommen und ist wieder ganz der Alte. Gerade singt er seinem Freund etwas vor. :)