Eine Wellensittich-Geschichte
Ich möchte euch heute eine Geschichte zeigen, die ich eigentlich mal für einen Wettbewerb geschrieben habe. Sie handelt von einen Welli der das Glück hatte, von ganz unten nach ganz oben zu gelangen. Ihr wisst nicht was ich meine? Dann lest Das Tagebuch von Sammy! Viel Spaß!Tagebuch von Sammy
Wo bin ich hier? Es ist eng und dunkel. Wo sind meine Freunde? Und wieso antworten sie mir nicht? Aua, ich rutsche in diesem kleinen Pappkarton hin und her. Höre Stimmen. Ich will schreien: „Hilfe, ich will hier weg!“, aber meine Stimme geht im Lärm unter. Plötzlich schwankt es nicht mehr. Es wird still. Was ist los? Was passiert mit mir? Da sind sie schon wieder, diese Stimmen. Menschenstimmen. Ich hasse sie. Früher habe ich sie gemocht, die Menschen. Da waren sie noch nett. Bis mich eine riesige Hand gepackt und in diese Schachtel gesteckt hat.
Es hat aufgehört zu ruckeln. Auf einmal sehe ich Licht! Es blendet mich. Mein Herz klopft. So laut, dass ich es hören kann. Eine Weile passiert nichts, gar nichts. Dann, ganz vorsichtig, mache ich einen Schritt in Richtung des Lichts. Und noch einen. Jetzt kann ich sehen wo ich bin: In einem kleinen, vergitterten Kasten. Ist niemand hier? Doch da! Ein anderer Welli! Ich bin überglücklich! Ich rufe ihm zu. Doch er antwortet nicht. Ich rufe noch einmal. Wieder nichts. Was ist denn mit ihm? Zaghaft gehe ich ein Stücken auf ihn zu. Er steht einfach nur da. Macht gar nichts. Hat er auch Angst, so wie ich? Aber ich tu ihm doch nichts! Sehe ich so angsteinflößend aus?

Nach einer Weile werde ich immer unruhiger. Es ist so still hier! Auf einmal höre ich Schritte. Wie ein riesiges Monster baut ein Federloser sich vor mir auf. Ich habe solche Angst, ich will nach Hause. „Mama!“, rufe ich „Mama, warum hilfst du mir nicht? Wo bist du?“ Der Federlose lacht. Ich weiß nicht, was hier so lustig sein soll. Panik überkommt mich. Ich schaue noch einmal zu dem merkwürdigen Welli, oben auf der Stange. Aber ich weiß, dass er mir nicht helfen wird. Mir ist nur eins klar: Ich muss hier raus. Panisch klettere ich durch den ganzen Kasten, aber finde keinen Ausgang. Dieser Mensch grinst die ganze Zeit.
------------
Das Ganze ist jetzt schon lange her. Ich weiß nicht wie lange, ich habe vollkommen das Zeitgefühl verloren. Weil alles gleich ist. Einfach alles. Jeder blöde Tag, den ich hier sitzen muss. Langsam habe ich mich mit meiner Situation abgefunden, ich weiß, dass mich niemand befreien wird aus dieser Hölle. Jetzt kommt gleich der Federlose. Er wird meine Näpfe auffüllen, wie jeden Morgen. Dann wird er gehen, mich alleine lassen. Wie jeden morgen. Dann, später irgendwann, wenn es schon fast dunkel ist, kommt er wieder und setzt sich vor eine lautes Flimmerding. Von dort kommen Stimmen und es flackern viele Farben auf, sodass ich nicht schlafen kann. Wie jede Nacht.
Manchmal, wenn er an meinem „Käfig“, wie er den Kasten nennt in dem ich eingesperrt bin, herummacht, darf ich raus. Aber ich will nicht! Der Käfig ist doch mein Zuhause. Dort sind meine beiden Freunde. Einmal, der stumme Welli, der sich nicht bewegt und einmal ein Welli der genauso aussieht wie ich. Der Mensch kommt dann mit seiner Hand auf mich zu. Dann ich habe tierische Angst. Ich flattere durch den ganzen Käfig, stoße meine Flügel an, knalle mit dem Kopf an die Gitterstäbe, bis ich in meiner Panik durch ein Loch, durch welches die Hand kommt, entfliehen kann. Doch sobald ich draußen bin, weiß ich nicht mehr wohin. Ich lande völlig entkräftet auf einem braunen Kasten. Ich weiß, dass ich lange dort bleiben werde. So lange, bis mich die Hand wieder fängt und in den Kasten sperrt. Ich habe schon lange aufgegeben zu flüchten. Mit der Zeit fand ich das gar nicht mehr so schlimm, warum auch? Was soll ich denn da draußen machen? Mehr als rumsitzen ja wohl nicht.
Ihr fragt euch sicherlich, womit ich mir die Zeit im Käfig vertreibe. Nun, ich sitze da. Manchmal versuche ich die beiden Wellis mit mir zu versöhnen und füttere sie. Die mögen mich nämlich nicht, nie haben sie mich gefüttert, versucht mich zu kraulen. Dabei wünsche ich mir das so sehr. Damit ich mich nicht so allein fühle. Ein Schnabel der mich zärtlich krault, wenn mein Köpfchen juckt. Jemand, der sich nachts neben mich kuschelt, wenn ich Angst habe. Der leise mit mir zwitschert, oder der einfach nur mit mir zusammen mit dem Schnabel knirscht. Ein Beweis, dass ich nicht der einzige Wellensittich in dieser bescheuerten Welt bin. Ganz alleine, unter Riesen.
Aber ich habe eine super neue Beschäftigung gefunden! Um die Zeit rum zu kriegen, habe ich mich einfach ein bisschen mehr geputzt. Jetzt putze ich mich immer, wenn mir langweilig ist. Also ständig. Es macht Spaß, ein bisschen mehr an meinen Federn zu ziehen, sodass sie rausfallen. Alle nacheinander. Ich habe schon eine richtig kahle Stelle unter meinem Flügel, auf die bin ich ganz stolz!
Oh nein! Bitte, bitte nicht! Wieso kommt der Federlose schon heim? Und da ist noch einer! Aber die andere Federlose sieht anders aus. Irgendwie nett. Sie lächelt. Halt Sammy, lass dich nicht wieder täuschen. Die sind doch eh alle gleich! Sie kommt auf mich zu. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Plötzlich schaut sie gar nicht mehr so fröhlich. Sie sieht geschockt aus. Etwa wegen mir? Was ist denn an mir? Sie sagt etwas zu „meinem“ Federlosen. In einer sehr traurigen Stimme.
------------
Ich bin wieder in einer Schachtel. Wie am Anfang, als alles angefangen hat. Die Federlose redet leise auf mich ein. Das ist irgendwie schön. Jedoch spüre ich die Betroffenheit in ihrer Stimme. Steht es so schlimm um mich? Was ist aus mir geworden? Ich schäme mich. Ich wünschte, ich müsste nie mehr aus dieser Schachtel heraus.
------------
Ich habe schon lange nicht mehr geschrieben. Aber es ist so viel passiert! Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll! Besser der Reihe nach. Natürlich musste ich wieder raus aus der Schachtel. Aber eine Hand hat mich rausgeholt. Sie hat mich abgetastet. Am ganzen Körper berührt! Ich habe gezwickt und gebissen, aber das hat die Hand nicht interessiert. Dann durfte ich endlich wieder in die Schachtel zurück. Zwei Stimmen waren zu hören, sehr besorgte Stimmen. Nachdem die Schachtel wieder geruckelt hat, öffnete sich eine Kappe. Ich war wieder ganz alleine, obwohl ich glaubte Wellistimmen gehört zu haben. Die Tage vergingen ebenso langweilig wie vorher. Nur die Federlose war netter.
Eines Tages nahm sie meinen Käfig und ging einen langen Gang entlang. Es duftete nach Hirse und Karotten! Ich hörte komische Geräusche. Irgendwie kamen sie mir bekannt vor, ich kam nur nicht drauf. Da wurden sie immer lauter und ich wusste plötzlich was das waren: Wellensittichstimmen! Ich rief so laut ich nur konnte. Sie kamen immer näher! Richtige Wellis! „Hier, hier bin ich“, rief ich, „Helft mir!“ Eine Tür öffnete sich und ich war mitten unter ihnen. Es waren so viele, dass man sie nicht zählen konnte. Ich war überwältigt, schrie so laut ich konnte. Die Federlose lächelte, zum ersten mal seit langem wieder. „Hallo!“, riefen mir die Wellis zu, „Komm doch zu uns!“. Noch nie im Leben war ich so glücklich! Nachdem die Federlose behutsam meinen Käfig abgestellt hatte, flogen ein blauer und ein gelb-grüner Welli zu mir. „Hallo, wer bist du? Ich bin Klara!“, sagte der Grüne. „Herzlich Willkommen hier!“, grüßte der Blaue. Ich wollte antworten, aber ich wusste nicht mehr wie. Hatte ich es wirklich verlernt, wie ein Wellensittich zu sprechen? Mehr als „Sammy“ brachte ich nicht heraus.
Am nächsten Morgen öffnete die Federlose die Tür meines Gefängnisses und ich flog. Seit langen wieder! Ich flog nicht mehr aus Angst, weil ich auf der Flucht war, sondern ich flog, weil ich ein Vogel war. Und weil fliegen Spaß machte. Klara und Cocco, wie der blaue Welli hieß, flogen neben mir. Sie hatten mir einiges erzählt vom Leben hier, dass es nie langweilig wurde. Wir flogen und kletterten, wir verputzten Salat und knabberten an Ästen. Es war herrlich. Ich wusste wieder was ich war. Ein Wellensittich.
Inzwischen ist Klara meine Partnerin und Cocco mein bester Freund. Hier wohnen noch viele andere Wellis, zum Beispiel der dicke Nino, der so gut kraulen kann, oder die sportliche Tara, mit der ich um die Wette fliege. Wir machen viel zusammen. Heute haben sie mir gezeigt, wie man badet, früher hatte ich Angst vor Wasser. Gestern haben wir zusammen an einem Stück Rinde genagt und Gurke gegessen. Gerade kommt die Federlose ins Zimmer, mit frischen Apfelscheiben. Cocco und Klara fliegen immer ganz mutig auf sie zu, sie sagen, dass sie nett ist, nicht so, wie mein alter Federloser. Wer weiß, vielleicht werde ich ja auch bald den Mut finden und aus ihrer Hand essen. Ach ja und mein Gefieder ist auch wieder toll. Die kahle Stelle ist zugewachsen, ich habe jetzt besseres zu tun, als mein Gefieder zu demolieren.

Manchmal denke ich noch an meine beiden alten „Freunde“, aber die werden mich sicherlich nicht vermissen. Aber jetzt muss ich los, Klara wartet schon ganz ungeduldig darauf gefüttert zu werden.
THE END
Der Artikel wurde am 17.01.2011 von veröffentlicht in der Kateogie: Geschichten.
Ähnliche Artikel in diesem Blog
Liebe Einzelvogel-Halter, vom 17.01.2010
Hilfe, mein Wellensittich ist nicht zahm! vom 22.03.2011
Wünsche eines Wellis im Tierheim vom 05.07.2012
Wellensittich sucht Hilfe! vom 26.01.2013
Die Federlose vom 26.07.2014
Liebe Einzelvogel-Halter, vom 17.01.2010
Hilfe, mein Wellensittich ist nicht zahm! vom 22.03.2011
Wünsche eines Wellis im Tierheim vom 05.07.2012
Wellensittich sucht Hilfe! vom 26.01.2013
Die Federlose vom 26.07.2014
Welli4812 aus Irgendwo (17.01.2011 - 20:56)
Super Text obwohl ich nur das Ende gelesen hab. Ich wusste schon das der Anfang der Geschichte traurig ist. ;) Sonst würde ich wieder Tränen in den Augen haben bei all den Geschichten ;)

Judith aus Schwabenländle (17.01.2011 - 21:11)
ganz tolle Geschichte, jeder sollte das lesen.
borgi aus Erlangen (18.01.2011 - 11:03)
Das ist eine wunderschöne Geschichte, die mich auch absolut zu Tränen gerührt hat.
xBEAx aus Bedburg (18.01.2011 - 14:15)
na gut das ich nicht die einzige bin die bei der geschichte geheult hat. Manchmal wünschte ich ich könnte auch so gut schreiben, meine Wellis hätten auch viel zuerzählen ;) Toll einfach nur TOLL supi Geschichte, gruss Sammy und sag ihm das nicht alle Federlosen gleich sind ;)
Miriam aus bei mir (18.01.2011 - 15:51)
Ich hab in dem Moment Tränchen in den Augen gehabt (und sie sind auch geflossen), als Sammy in den raum mit den Anderen getragen wurde.
Schöne Geschichte. Wirklich, sie gefällt mir.
Schöne Geschichte. Wirklich, sie gefällt mir.

Blueberry aus AC (22.01.2011 - 18:00)
Das ist ja süß :)
Elisabeth aus Colorado USA (26.01.2011 - 00:03)
zaehlt mich auch als heuler zu :)
lola aus köln (05.09.2011 - 17:21)
die geschichte erinnert mich an meinen welli. ich bin überzeugt er brauch einen zweiten welli. ich werde meine ma jetzt dazu überreden dann ist er bestimmt auch glücklicher

SunFlower aus BW (10.09.2011 - 18:51)
@lola:
Es freut mich sehr, dass meine Geschichte dich zum Nachdenken gabracht hat!
Ich wünsche dir viel Glück für den Kleinen! :)
Es freut mich sehr, dass meine Geschichte dich zum Nachdenken gabracht hat!
Ich wünsche dir viel Glück für den Kleinen! :)