Nicht nur eine Operation selbst ist an einem Vogel risikoreich, sondern auch die Narkose. Wie wird eine Narkose vorbereitet, durchgeführt und überwacht? Ist eine Narkose bei einem Vogel überhaupt kontrollierbar? Welche Risiken können auftreten? All diese Fragen werden wir in diesem Artikel beantworten.
Dass Korrekturen knöcherner Verletzungen, also Brüche (Frakturen) manchmal operativ behandelt werden müssen und auch Tumorentfernungen unter Narkose stattfinden, weiß jeder. Allerdings gibt es bei Vögeln noch mehr Eingriffe, die einen narkotisierten und relaxierten (entspannten) Zustand unumgänglich machen. Folgend werden nun Eingriffe aufgelistet, bei denen der Vogel narkotisiert sein muss:
- Untersuchung von Beweglichkeit der Gelenke
- Ziehen von Schwanz- oder Schwungfedern sowie abgebrochenen Federn
- Applikation eines Mikrochips
- Blutentnahme (Narkose für eine Blutentnahme ist in Fachkreisen umstritten)
- Röntgen (auch eine Narkose während eines Röntgen ist umstritten)
- Schwere Schnabelkorrekturen
- Anbringen von Schnabelprothesen
- Endoskopie (Betrachtung innerer Organe)
- Tracheoskopie (Spiegelung der Luftröhre)
- Rhinoskopie (Begutachtung der oberen Atmenwege / Nase)
- Biopsie (Entnahme von Gewebeproben)
- Gastroskopie (Magenspiegelung)
- Euthanasie
Immer noch ängstigt die Vorstellung, den eigenen Vogel narkotisiert zu wissen, viele Halter, denn das Vorurteil, Vögel überleben eine Narkose nicht, hält sich hartnäckig. Mittlerweile gibt es durch den Fortschritt in der Tiermedizin bessere Möglichkeiten, eine schonendere und auf den Vogel abgestimmte Narkose zu verabreichen.
Zu Beginn der Vogelmedizin war die Injektion eines oder mehrerer Narkotika sehr verbreitet. Zum damaligen Stand der Wissenschaft gab es keine Alternative. Mittlerweile kommt eine Injektionsnarkose gar nicht mehr zur Anwendung, da sie höhere Risiken für die Patienten birgt. Nur für eine Euthanasie wird die Narkose injiziert. Dies hängt zum einen mit der Dosierung des Narkosemittels zusammen, zum anderen mit der wechselhaften Verträglichkeit von Narkotika bei Vögeln. Diese Problematik kann bei der Inhalationsnarkose umgangen werden. Über eine Atemmaske wird dem Vogel ein Gemisch aus Sauerstoff und Narkosegas zugeführt. Anfangs verwendeten Veterinärmediziner das Narkosegas Halothan, welches aufgrund einer besseren Wirkung und einer niedrigeren Toxizität (Giftigkeit) durch Isofluran ersetzt wurde. Neben Isofluran kann auch das Narkosegas Sevofluran angewendet werden.
Einer Operation wohnt neben dem Operateur selbst ein Anästhesist bei, der die Vitalfunktionen des Vogels während der Operation im Auge behält, damit sich der Operateur auf den chirurgischen Eingriff konzentrieren kann. Eine dritte Person, die sowohl dem Operateur als auch dem Anästhesist Instrumente und Medikamente anreicht, ist bei der Operation anwesend. Vor Narkosebeginn müssen alle Notfallmedikamente injektionsbereit und auf das Körpergewicht des Vogels berechnet bereit liegen. Die Narkose muss mittels Narkoseprotokoll dokumentiert werden. Dies macht den Verlauf von Operation und evtl. Narkosezwischenfällen später genau nachvollziehbar. Vor einer Narkose sollten der Gesundheitszustand und die Blutwerte des Vogels kontrolliert werden. Ein Vogel der beispielsweise einen Infekt hat, darf nicht operiert werden, da die Risiken für einen durch einen Infekt geschwächten Vogel enorm ansteigen können. Der Allgemeinzustand des Vogels wird jedoch von jedem verantwortungsvollen vogelkundigem Tierarzt vor einer Operation genau überprüft.
Mehrere Stunden vor der Operation sollte dem Vogel durch subkutane Injektion Flüssigkeit zur Kreislaufstabilisierung injiziert werden. Die Narkotika Isofluran und Sevofluran sind nicht analgetisch (schmerzstillend), sodass vor und ggf. während sowie nach einem operativen Eingriff ein schmerzstillendes Mittel verabreicht werden sollte. Der Vogel sollte zwei bis drei Stunden vor Beginn der Narkose nichts mehr fressen, um zu verhindern, dass Futter, welches sich noch im Kropf befindet, in die Atemwege gelangt. Eine Narkose bei abgemagerten und / oder adipösen Vögeln sollte verschoben werden. Ein abgemagerter Vogel sollte zunächst mit geeignete Maßnahmen aufgepäppelt werden, während ein übergewichtiger Vogel erst einmal auf Diät gesetzt werden muss. In beiden Fällen würde eine Narkose unter der zusätzlichen Belastung von Unter- oder Übergewicht das Narkoserisiko schwer kalkulierbar machen, da eine Narkose eine massive Kreislaufbelastung darstellt.
Der Vogel wird fixiert und bekommt eine Maske über den Kopf gestülpt, über die er das Gas-Sauerstoff-Gemisch inhaliert. Der Nakoseanteil im Gemisch während der Narkoseeinleitung beträgt fünf Volumenprozent; der Sauerstoff wird mit etwa 1 Liter/Minute je 500 gr Körpergewicht zugeleitet. Ob die Narkose zu wirken beginnt, erkennt man am Schließen der Augenlider. Der Vogel kann nun aus der Fixierung befreit werden und auf den Operationstisch positioniert werden. Nach Eintritt der völligen Entspannung (Relaxation) wird die Menge des Narkosegases auf zwei bis drei Volumenprozent reduziert. Die Phase der Narkoseeinleitung ist damit beendet.
###advertiser_one###Bei längeren Narkosen sollte der Vogel zusätzlich zur selbstständigen Atmung intubiert werden. Dafür wird ein mit dem Narkosegerät verbundener Schlauch (Tubus) direkt in die Luftröhre des Vogels eingeführt. Dabei sollte auf einen möglichst dichten Abschluss zwischen Schlauch und Luftröhre geachtet werden. Im Falle eines Atemstillstands kann der Vogel so direkt beatmet werden. Auch bei längeren Operationen ist es sinnvoll, den Vogel mit speziell auf kleinste Tiere ausgerichtete Beatmungsmaschinen aktiv zu beatmen.
Intravenöser und intraossärer Zugang
Ob der Zugang, über den Infusionen oder Notfallmedikamente eingeleitet werden können, in die (Flügel-)Vene (intravenös) oder in den hohlen Knochen (intraossär) am Flügel oder am Bein gelegt wird, ist vom Zustand des Vogels und der Vorliebe des Tierarztes abhängig.
Wärme
Um eine rasch abfallende Körpertemperatur zu verhindern, wird der Vogel auf Wärmematten gelegt. Eine zusätzliche Wärmequelle oberhalb des Vogels hat sich ebenfalls bewährt.
Ausleiten der Narkose
Nach Beenden des Eingriffs wird die Zufuhr des Narkosegases eingestellt, sodass der Vogel nur noch reinen Sauerstoff einatmet. Je nach Länge der Narkose wird der Vogel schon wenige Minuten später beginnen aufzuwachen. In dieser Zeit müssen Reflexe und Atmung gut im Auge behalten werden.
Der Vogel sollte während der Aufwachphase in ein Handtuch gewickelt sein und in den Händen gehalten werden, um im Stadium der Desorientierung nicht panisch mit den Flügeln schlagen zu können. Erst wenn sicher ist, dass der Vogel die volle Orientierung wiedererlangt hat, darf er in einen Käfig oder eine Transportbox gelegt werden. Im Falle einer ohne Komplikation verlaufende Operation ist der Patient schon nach sechs bis acht Minuten wieder in der Lage, sich sicher auf der Stange halten zu können.
Je nach Dauer und Ausmaß der Operation entscheidet der vkTA individuell über die Kontrollmaßnahmen der zu überwachenden Vitalfunktionen.
Atemkontrolle
Der Atem muss visuell durch eine Hilfsperson kontrolliert werden. Die Anzahl der Atemzüge und deren Tiefe geben Aufschluss über den Zustand des Patienten und die richtige Dosierung des Narkosegases. Eine zu oberflächliche Atmung ist ein Zeichen einer zu gering dosierten Narkose, während eine zu tiefe Dosierung zu unregelmäßigen und flachen Atemzügen führt. Unterstützend bei der Atemkontrolle bietet ein Respirationsmonitor, der die Atemzüge in akustische Signale umwandelt, eine Hilfe, so dass Operateur und Anästhesist die Atmung kontrollieren, ohne dauerhaft das Heben und Senken des Brustkorbs beobachten zu müssen.
Reflexkontrolle
Um die Tiefe der Narkose zu beurteilen, werden verschiedene Reflexe kontrolliert. Durch das Berühren des Auges mit einem Wattestäbchen wird der Hornhautreflex (Kornealreflex) ausgelöst.
Flughautreflex (Propatagialreflex) sowie Zwischenzehenreflex (Flexorreflex) werden durch Kneifen in den entsprechenden Körperregionen ausgelöst. Können diese Reflexe nicht, auch nicht verspätet, ausgelöst werden, ist eine zu tiefe Narkose gegeben.
Herzkontrolle / EKG
Mit Hilfe eines Stethoskops wird die Überwachung der Herzfrequenz durchgeführt. Durch eine Überwachung mittels Elektrokardiogramm (EKG) kann, zusätzlich zu der Herzfrequenz, auch eventuelle Herzabnormalitäten festgestellt werden. Dafür werden Elektrosonden am linken Bein und an beiden Seiten des Brustkorbs angebracht. Bei Wellensittichen ist es größentechnisch nicht möglich, die Elektrosonden an Brustkorb und Bein anzubringen. Die Sonde für ein EKG wird bei einem Wellensittich auf dem Kopf angebracht. Desweiteren gibt es auch Nadelelektroden, die in die Haut eingespießt werden. Dieses Verfahren ist jedoch nicht gängig.
Temperaturkontrolle
Eine Sonde, die entweder in die Kloake oder den Kropf des Vogels eingeführt wurde, kontrolliert die Körpertemperatur.
Kapnographie (CO2-Kontrolle)
Der Kohlendioxidanteil in der vom Vogel ausgeatmeten Luft wird mit einem Kapnographen, der meistens mit einem Respirationsmonitor verbunden ist, gemessen.
Blutdruckkontrolle
Eines der wichtigen Narkoseüberwachungsverfahren ist die Blutdruckkontrolle, da ein Blutdruckabfall schon feststellbar ist, wenn alle anderen Vitalfunktionen noch im Normalbereich liegen.
Atemstillstand
Durch eine fachgerechte Reaktion des Anästhesisten sind die meisten Zwischenfälle in Form von Atemstillstand gut unter Kontrolle zu halten. Sollte es zu einem Atemstillstand kommen, kann der Anästhesist die Narkosegaszufuhr abkoppeln, Notfallmedikamente verabreichen oder den Vogel mittels Mund-zu-Mund-Tubus oder Beatmungsmaschine beatmen.
Blutdruckabfall
Kommt es zu einem Blutdruckabfall (unter 90 mmHg), muss dem Vogel sofort spezielle Infusionen und blutdrucksteigende Medikamente über den intravenösen oder intraossären Zugang zugeführt werden. Die Reduzierung des Narkosegases ist ebenfalls eine Möglichkeit, den Zustand des Patienten zu stabilisieren. Die Narkose und die Operation muss abgebrochen werden, wenn der Blutdruck nicht innerhalb von kürzester Zeit über den kritischen Wert gebracht werden kann.
Herzstillstand
Ein Herzstillstand ist eine der Komplikationen, die der Anästhesist am schlechtesten unter Kontrolle bekommen kann. Selbst durch eine manuelle Herzmassage über das Brustbein und eine Injektion von Notfallmedikamenten können erfahrungsgemäß nur wenige Patienten gerettet werden.
Erst nach Wiedererlangen des vollen Bewusstseins und der Kontrolle über den Körper darf der Vogel in seine Transportbox zurück gesetzt werden. Durch panisches Flügelschlagen kann es zu lebensgefährlichen Verletzungen kommen. Etwa ein bis zwei Stunden nach Ende der Operation und Narkose sollte dem Vogel wieder Futter angeboten werden. Würgen und Erbrechen können nach der Narkose auftreten. Sollten die Nachwirkungen innerhalb von wenigen Stunden nicht nachlassen, sollte der behandelnde vogelkundige Tierarzt zu Rate gezogen werden.
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung aus Recherche und persönlichen Erfahrungen und dient nicht als Leitfaden. Den genauen Ablauf der Narkose wird der behandelnde vogelkundige Tierarzt individuell festlegen.
Anna1589