Einzelhaltung - nein danke!

Obwohl die Vorteile von Paar- bzw. Schwarmhaltung zahlreich und nicht von der Hand zu weisen sind, zögern viele Menschen dennoch, sich mehr als einen Wellensittich anzuschaffen bzw. ihrem Einzelvogel einen Partner hinzuzugesellen. Die Argumente, die für Einzelhaltung ins Feld geführt werden, sind jedoch ausnahmslos überholt oder können leicht entkräftet werden.

Nur ein Einzelvogel wird zahm

Für viele Menschen ist die Zutraulichkeit ihres Wellis ein sehr entscheidendes Kriterium. Doch wer mit der Anschaffung von Vögeln liebäugelt, muss sich darüber im Klaren sein, dass es sich hierbei nicht um Streicheltiere handelt.

Wer erwartet, einen superzahmen, anhänglichen Vogel zu bekommen, der den ganzen Tag auf der Schulter sitzt und spricht, sollte sich von dieser Vorstellung schleunigst trennen, denn sie ist unrealistisch und kann dem Tier zum Verhängnis werden. Bis auf sehr wenige Ausnahmen, die trotz der Gesellschaft von Artgenossen so zutraulich werden, sind die meisten dieser ausschließlich auf ihren Halter fixierten Vögel Verzweiflungstäter, die nur aus einem dringenden instinktiven Kontaktbedürfnis heraus handeln und von der Aufmerksamkeit ihres Besitzers abhängig sind. Die Zahmheit drückt die absolute Einsamkeit des Vogels aus, der auf 'seinen Menschen' als einzigen sozialen Kontakt angewiesen ist. Dabei kann das Bedürfnis nach Nähe dem Halter auch schnell lästig werden, wenn der Wellensittich ihn auf Schritt und Tritt verfolgt. Eine solche Abhängigkeit ist es nicht wert, als Zutraulichkeit im eigentlichen Sinne betrachtet zu werden, denn es bleibt dem Vogel keine Alternative, um sein Sozialverhalten im Umgang mit Artgenossen auszuleben.

Auf zutrauliche Vögel, die keine Scheu vor der Hand haben, auf den Finger steigen und vielleicht sogar den Arm erklettern, braucht hingegen auch ein Halter mehrerer Wellis nicht unbedingt zu verzichten. Ob ein Sittich zutraulich wird, hängt in erster Linie von seinem Charakter ab und davon, wie und wie oft man sich mit ihm beschäftigt. Mit Geduld und Kolbenhirse können mehrere Wellensittiche genauso schnell und unproblematisch Vertrauen fassen wie ein Einzelvogel. Tatsächlich ermutigen oft die Neugierigeren unter den Wellis ihre schüchterneren Artgenossen, sodass diese ebenfalls Zutrauen fassen.

Aber auch wenn die Wellensittiche scheu bleiben, darf man nie vergessen: Dass Vögel zutraulich werden, ist als „Bonus“ zu betrachten und darf kein Anschaffungskriterium sein. Auch ein Einzelvogel kann sein Leben lang scheu bleiben – aber ein solcher Vogel wird höchstwahrscheinlich träge, lustlos oder aggressiv werden, während ein nicht handzahmer Schwarm durch sein munteres Treiben immer noch glücklich und unterhaltsam ist.

zahmer Schwarm Wellensittiche
Gruppe zutraulicher Wellis

Auch im Schwarm wurden diese Wellensittiche zahm und kommen für Kolbenhirse auf den Schoß ihrer Federlosen.

Zwei Vögel machen mehr Dreck

Die Rechnung „Doppelte Anzahl an Vögeln = doppelte Anzahl an Federn, Körnerspelzen und Kotbällchen“ ist richtig. Die Rechnung „Doppelte Anzahl an Vögeln = doppelte Arbeit“ ist es hingegen nicht.

Die Reinigung des Käfigs muss durchgeführt werden, egal, ob ihn ein oder zwei Wellis bewohnen, und ob der Staubsauger die doppelte Menge Federn schluckt, macht praktisch keinen Unterschied. Die erhöhte Menge an Dreck ist minimal und gewiss kein ernstzunehmendes Argument gegen Paarhaltung.

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Zwei Vögel machen mehr Lärm

Auch diese Aussage ist nicht unbedingt richtig. Natürlich singen zwei Sittiche mitunter lauter als ein einzelner, allerdings ist ein Einzelvogel, der Kontaktrufe ausstößt, weitaus lauter als zwei normal zwitschernde Wellensittiche. Und schließlich: Alle Vögel machen Krach, damit muss man leben – wen das allzu sehr stört, ist mit einem stummen Haustier vielleicht besser bedient.

Zwei Vögel kosten mehr

Den Hauptkostenpunkt bei der Anschaffung stellt der Käfig bzw. die Voliere dar. Gewöhnlich übersteigt der Preis hierfür alle anderen Ausgaben bei weitem! Die Mehrkosten für Futter, Einstreu, Spielzeug etc. fallen kaum ins Gewicht.

Allerdings muss vor dem Kauf irgendeines Tieres sicher gestellt sein, dass in jedem Fall die finanziellen Mittel für seine vollständige Versorgung vorhanden sind. Insbesondere Tierarztkosten können sich schnell auf mehrere hundert Euro belaufen, die unbedingt verschmerzbar sein müssen. Wer das nicht für mindestens zwei Wellis gewährleisten kann, muss die Finger von der Tierhaltung lassen.

Ich will aber keine Küken

Nachwuchs verhindern zu wollen, ist in den meisten Fällen eine gute Idee, denn Sittichzucht ist mit hohen Risiken verbunden und erfordert eine amtliche Genehmigung. Allerdings lässt sich eine Brut in aller Regel sehr leicht verhindern, und wer ganz sicher gehen will, schafft sich zwei Männchen (bitte nicht zwei Hennen, dass führt oft zu Konflikten) an.

Mein Vogel ist aber alleine auch glücklich!

Immer wieder wird dieses Argument gebracht – oft als letztes. Tatsächlich kann man bei manchem Einzelvogel auf den Gedanken kommen, er sei mit seinem Singledasein zufrieden – er frisst doch, putzt sich, ist zutraulich und verspielt? Aber all das ist keine Garantie dafür, dass er sich wirklich wohlfühlt. Kein Mensch kann die Gedanken eines Vogels lesen, niemand weiß, ob er glücklich ist oder nicht. Zutraulichkeit kann ein Zeichen von verzweifelter Kontaktsuche sein, und ein Vogel kann durchaus körperlich gesund, aber geistig unterfordert und psychisch einsam sein. Wer denkt, sein Einzelvogel fühle sich rundum wohl, sollte sich einmal das Verhaltensrepertoire von Wellensittichen vor Augen rufen. Balzen, Partnerfütterung, gemeinsames Fliegen und Spielen, Kommunikation mit Artgenossen, gegenseitige Gefiederpflege – all diese wesentlichen Bedürfnisse können in Einzelhaltung nicht erfüllt werden. Dies sind Instinkte, die jeder Wellensittich in sich trägt, und man muss ihm die Gelegenheit geben, sie auszuleben. Viele ehemalige Einzelhalter, die davon überzeugt waren, ihr Vogel sei glücklich, waren erstaunt, wie sehr ihr Tier nach einer geeigneten Vergesellschaftung aufblühten. Erst als die Wellensittiche mit Artgenossen Kontakt hatten, stellten ihre Halter fest, was ihnen zuvor gefehlt hatte.

Mein Vogel ist ein Einzelgänger

Hier muss man sich fragen, ob es Einzelgänger unter Schwarmtieren wie Wellensittichen überhaupt geben kann. Meiner Meinung nach stellt das Bedürfnis nach der Gesellschaft von Artgenossen bei sozial lebenden Tieren einen elementaren Instinkt dar, sodass ein Wellensittich, der ohne andere Sittiche grundsätzlich zufriedener ist, äußert unwahrscheinlich erscheint. Die Anwesenheit des Schwarms stellt Sicherheit und für einen wildlebenden Vogel die einzige Überlebensstrategie dar. Wieso also sollte ein domestizierter Sittich ein Einzelgänger sein?

Tatsächlich beruht diese Aussage oft auf schlechten Erfahrungen bei der Verpaarung, wenn beispielsweise der „einzelgängerische“ Vogel einen oder mehrere potentielle Partner attackiert hat. Der Grund hierfür liegt aber in den seltensten Fällen im Charakter des Wellensittichs, sondern an falschem Vorgehen bei der Vergesellschaftung oder an einem ungeeigneten Partner.

Wellensittich krault anderen am Kopf
Henne krault ihren Hahn am Kopf

Kein Mensch kann für einen Wellensittich ein Partnerersatz sein – schließlich wird er ihn nie so schön am Kopf kraulen können.